Patienten 11.10.2022

Berührung, Zuspruch und Empathie – das brauchen Alzheimerpatienten

Berührung, Zuspruch und Empathie – das brauchen Alzheimerpatienten

Foto: David Pereiras – stock.adobe.com

Die Patientengruppe der Alzheimererkrankten braucht ein konsequent verständnisvolles Gegenüber. Sie braucht Behandler, die auf die besonderen kognitiven Einschränkungen eingehen und so Patienten „in ihrer Welt“ abholen und, trotz aller Erschwernisse, bestmöglich versorgen. Dr. Michael Lorrain ist Facharzt für Nervenheilkunde und Vorsitzender des Vorstandes der gemeinnützigen Alzheimer Forschung Initiative e.V. Im Beitrag wirbt er für einen bewusst verständnisvollen Umgang mit Alzheimerpatienten und gibt wichtige Basics für die Interaktion.

Das Thema Alzheimererkrankung ist schon lange nicht mehr auf den Fachbereich der Neurologie begrenzt, sondern wird in durchweg allen medizinischen und pflegerischen Sparten immer präsenter, je älter unsere Gesellschaft wird. Auch die Zahnmedizin als ein Versorgungszweig wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten eine steigende Zahl an Alzheimerpatienten betreuen, auf die es kompetent und mitfühlend in Sprache, Gestik und Behandlung einzugehen gilt. Denn: Für Alzheimerpatienten, vor allem in fortgeschrittenen Stadien, ist jede Situation immer wieder neu und mit einer ständigen Reizüberflutung verbunden. Daher braucht diese Patientengruppe ein absolut professionelles Handling, um überhaupt eine (zahn)medizinische Behandlung zulassen zu können.

Herausforderungen: Aphasie und Dyspraxie

Bei einer Alzheimererkrankung tritt in der Regel, ähnlich wie bei einem Schlaganfall, eine Aphasie auf. Während dies bei einem Schlaganfall plötzlich passiert, setzt eine Aphasie bei einer Demenz schleichend ein und nimmt einen fortschreitenden Verlauf. Für einen Behandler birgt dies die Herausforderung, dass die äußere Fassade eines Patienten, gerade zu Beginn der Erkrankung, noch sehr gut funktioniert und der eigentliche Erkrankungszustand nicht sichtbar sein kann. Patienten greifen hier auf Floskelsätze und ein eingeübtes soziales Verhalten zurück. Gibt dann der Behandler Anweisungen, was der Patient tun soll, bittet ihn zum Beispiel den Mund offen zu halten, kann es passieren, dass der Patient dazu nicht in der Lage ist. Hier muss der Behandler sensibilisiert sein und erkennen: Das ist nicht böser Wille, sondern krankheitsbedingt. Mit zunehmender Krankheit können Alzheimerpatienten dann immer weniger Aufforderungen folgen. Dieses Krankheitsbild nennt man Dyspraxie. Bisher gekonnte Aufgaben, Handgriffe und Abläufe, die wir als gesunde Menschen automatisch absolvieren, werden „verlernt“ und können nicht mehr umgesetzt werden. Da Alzheimerpatienten fast jede Situation als immer wieder neu und ungewohnt erleben und aus diesem Modus Unsicherheit und Angst entstehen, braucht es vonseiten des Behandlers einen besonderen Grad an Zuspruch und Empathie. Auch eine freundliche und beruhigende Gestik, wie zum Beispiel das vorsichtige Auflegen der Behandlerhand auf einer Schulter, hilft Patienten, sich sicher zu fühlen und kooperativ sein zu können. Für Alzheimer- und Demenzpatienten sind Berührungen essenziell als zentraler Teil ihres Wahrnehmungsprozesses und sollten von (Zahn)Ärzten bewusst eingesetzt werden.

Einfühlungsvermögen in Sprache und Gestik

Geht ein Zahnarzt in eine Pflegeeinrichtung, ist es wichtig, dass der Behandler nicht allein oder nur mit seiner Assistenz den Patienten aufsucht, sondern immer durch eine Person begleitet wird, die der Patient als Vertrauensperson kennt. Der Gang in eine Einrichtung erspart dem Patienten den Besuch in einer Zahnarztpraxis, der ihn in vielfacher Hinsicht überfordern würde – durch eine als unbekannt wahrgenommene Umgebung, andere Gerüche, Geräusche und Personen. Eine solche Reizüberflutung und die Unfähigkeit von Alzheimerpatienten, sich mit neuen und stresserzeugenden Situationen auseinanderzusetzen, können zu ungehaltenen, ärgerlichen bis aggressiven Reaktionen führen, die dann wieder ein besonderes Management benötigen. Demenzpatienten in ihrer gewohnten Umgebung aufzusuchen, mindert ihren Stress und vereinfacht den Umgang mit ihnen. Wichtig ist zudem, dass der Besuch in einer Einrichtung transparent für den Patienten gestaltet wird: Zwar ist im Allzeitgedächtnis des Patienten abgespeichert, was ein Zahnarzt ist, was er aber genau machen wird, muss dem Patienten im Vorfeld durch das Pflegepersonal erklärt werden. Der Zahnarzt selber sollte während der Behandlung eine psychologisch einfühlsame, einfache Sprache und Gestik verwenden, die der eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten des Patienten entspricht. Letztlich kann man sich hier an der Kommunikation und Interaktion mit Kindern orientieren und sprachliche Charakteristika, wie zum Beispiel Sätze mit „nicht“ zu vermeiden, aufgreifen. Auch Ablenkungen und Belohnungen können wie bei Kindern auch Alzheimerpatienten helfen, die Behandlung zuzulassen und so zu einem erfolgreichen Behandlungsergebnis führen.

Informationen zur Alzheimer Forschung Initiative e.V. unter: www.alzheimer-forschung.de

Dieser Beitrag ist in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis erschienen.

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