Psychologie 09.03.2015

Nähe und Distanz zum Patienten



Nähe und Distanz  zum Patienten

Foto: © pressmaster - Fotolia

An dieser Stelle können unsere Leser der langjährigen ZWP-Autorin Dr. Lea Höfel Fragen im Bereich Psychologie stellen – in Bezug auf Patienten, das Team und sich selbst. Die Fragen und Antworten finden Sie hier redaktionell aufbereitet wieder. In dieser Ausgabe der ZWP geht es um die persönliche Nähe und Distanz zu den Patienten. Psychologin Dr. Lea Höfel antwortet.

Anfrage: In meiner Arbeit mit Patienten merke ich, dass ich am besten mit der Klientel zurechtkomme, welche eine gewisse Distanz einhält (sei es physisch, emotional, inhaltlich). Ich konzentriere mich gern auf meine Arbeit und bin interessiert an Fakten, die mit dem zahnmedizinischen Problem in Verbindung stehen. Alles, was darüber hinausgeht und nicht zur genauen Planung der Behandlung gehört, ruft in mir Unruhe hervor. Eine Kollegin kommt hingegen mit diesen Patienten besser zurecht als mit den verschlossenen, sodass wir uns unsere Patienten gut aufteilen können. Dennoch bin ich interessiert daran, mehr über die differenzierten Persönlichkeitstypen zu erfahren.

Es gibt die unterschiedlichsten Persönlichkeitsmodelle, die genannt werden können, wenn es um „Persönlichkeitstypen“ geht. Da Sie in Ihrer Beschreibung die Formulierungen Nähe und Distanz einbringen, schauen wir uns das Nähe–Distanz-/Dauer–Wechsel-Modell näher an.

Ursprung: Grundformen der Angst

Der Tiefenpsychologe Fritz Riemann beschreibt in seinem Modell verschiedene Grundängste, aus denen heraus sich divergierende Ausprägungen von Ängsten und Persönlichkeiten entwickeln. Demnach führt die Angst vor Selbstentfaltung zu einer depressiven Persönlichkeit, die Angst vor Hingabe  zu einer schizoiden Persönlichkeit, die Angst vor Veränderung zu einer zwanghaften Persönlichkeit und die Angst vor Stabilität zu einer hysterischen Persönlichkeit. Dabei stehen sich einerseits Selbstentfaltung (Abgrenzung, Eigenständigkeit) und Hingabe (sich öffnen, einlassen) gegenüber, andererseits Stabilität (Planung, Zielstrebigkeit) und Veränderung (Weiterentwicklung, Freiheit).

Riemann-Thomann-Modell

Aus den Arbeiten von Riemann entwickelte Christoph Thomann ein Modell mit den Dimensionen Distanz–Nähe und Dauer–Wechsel, welches häufig genutzt wird, um Vorgänge beispielsweise in Konfliktsituationen, am Arbeitsplatz oder in Beziehungen zu analysieren.

Distanz: Der Distanzmensch braucht Abgrenzung von anderen, er analysiert gern, Gefühle sind nicht sein Steckenpferd. Er möchte selbstständig sein und gerät ungern in Abhängigkeiten von anderen. Der distanzierte Patient ist nur widerwillig dazu zu bewegen, sich auf Smalltalk einzulassen und möchte möglichst emotionslos und dafür sachbezogen aufgeklärt werden. Achten Sie als Zahnarzt darauf, auch zu erfahren, was der Patient wirklich möchte und nicht nur das, was ihm neutral betrachtet am sinnvollsten erscheint.

Nähe: Der Nähemensch liebt es harmonisch. Er möchte viel über sein Gegenüber erfahren und gibt auch einiges von sich preis. Er ist teamfähig und vergisst dabei gelegentlich die eigenen Bedürfnisse und Grenzen. Der näheorientierte Patient kennt üblicherweise jedes Teammitglied samt Geschichte (außer, es handelt sich um einen Distanzmenschen, der nichts offenbaren wird). Im Wartezimmer wird sich unterhalten. Es ist wichtig, diese Patienten genau nach ihren eigenen Behandlungswünschen zu befragen, da sie ungern widersprechen oder klare Standpunkte vertreten.

Dauer: Der Dauermensch ist gewissenhaft, pünktlich, an genauen Plänen interessiert, zielorientiert und tendenziell pedantisch. Der dauerorientierte Patient erscheint zuverlässig und möchte die gesamte Behandlungsplanung der nächsten fünf Jahre wissen. Abweichungen davon mag er gar nicht. Ihm sollte dennoch nähergebracht werden, dass der menschliche Organismus keine Maschine ist und sich deshalb beispielsweise detaillierte Pläne oder optimale Behandlungsvorschläge in der fernen Zukunft durchaus ändern können.

Wechsel: Wechselmenschen leben für Leidenschaft, Phantasie und Veränderung. Sie handeln spontan, lieben den Genuss und fürchten Monotonie. Auf andere wirken sie dabei gelegentlich unkoordiniert und chaotisch. Der wechselorientierte Patient ist begeistert von den neuesten Möglichkeiten der Zahnmedizin, allerdings kann es sein, dass ihm spontan etwas Spannenderes einfällt als der Zahnarztbesuch, weshalb er unpünktlich und unzuverlässig sein kann. Vermitteln Sie deutlich, dass eine erfolgreiche Behandlung auf guter Zusammenarbeit zwischen Patient und Zahnbehandlungsteam basiert.

Sie beschreiben von sich, dass Sie gern etwas Distanz zum Patienten haben, Sie scheinen gern zu analysieren und die Behandlung genau planen zu wollen. Womöglich sind Sie tendenziell ein Distanz–Dauer-orientierter Mensch. Damit wären Sie eher sachorientiert, überlegt, an Zahlen und Fakten interessiert. Mit ähnlichen Patienten hätten Sie es dann leichter als mit Nähe-Wechsel-orientierten, die viel von sich preisgeben, einen lockeren Plauderton haben und unzuverlässig sein können. Eine korrekte Analyse der eigenen Persönlichkeit und der anderen Personen ist jedoch bei einem so kurzen Einblick in die Verhaltensweisen, Emotionen und Gedanken nicht abschließend möglich. Eine Tendenz ist dennoch zu erkennen.

Die grobe Einschätzung der eigenen Persönlichkeit hilft in vielen Situationen, sein Verhalten nachzufühlen, einzuschätzen und zu steuern. Die Fähigkeit und das Interesse, darüber hinaus Freunde, Verwandte, Verhandlungspartner oder Patienten zu verstehen, erleichtert das Miteinander. Wir sind mit einer offenen Herangehensweise in der Lage, Missverständnisse zu vermeiden, Ärger zu erhindern und Harmonie herzustellen. In der Zahnarztpraxis erhöht dies die Zufriedenheit von Patienten und Mitarbeitern, sodass ein zielorientiertes und professionelles Arbeiten ermöglicht wird.

Mehr News aus Psychologie

ePaper