Psychologie 28.11.2013
Zurück in die Zukunft
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Anfrage: In der Psychologie scheint es viele unterschiedliche Richtungen zu geben. Welche Ansätze sind das genau und welche davon helfen am besten, um zum Beispiel unruhige oder ängstliche Patienten beim Zahnarzt dazu zu bringen, die Behandlung (mehr oder weniger) gern durchführen zu lassen?
Die therapeutischen Ausrichtungen in der Psychologie sind mannigfaltig und auf unterschiedliche Arten voneinander zu differenzieren. Therapien finden im Einzel-, Paar- oder Gruppensetting statt. Es gibt Therapien, bei denen der Patient gar nicht anwesend sein muss, bei denen ein Kissen den Partner darstellt, bei denen gemalt, gesungen, geklopft, geredet oder geschwiegen wird. Therapien können eine Stunde oder zehn Jahre andauern. Psychoanalytische Modelle gehen möglicherweise weit in die Kindheit und vorgeburtliche Erfahrungen hinein, die humanistische Psychologie vertraut stark auf die positive Entfaltung der Persönlichkeit. Verhaltenstherapeutische Ansätze konzentrieren sich bevorzugt auf das namensgebende Verhalten des Patienten oder Klienten. In jeder Ausrichtung findet man hervorragende Therapeuten, und je nach Vorliebe der Patienten verteilen diese sich auf die verschiedenen Richtungen. Einige der genannten Therapieansätze sind offensichtlich beim Zahnarzt weniger geeignet. Eine ganze Gruppe sollte nicht im Behandlungszimmer sein, der Patient sollte anwesend sein, und ein Kissen können Sie durchaus behandeln, nur macht das die Zähne nicht schöner. Von mir aus können Sie gern singen während der Behandlung. Ob Sie viel reden oder schweigen, ist je nach zahnärztlicher Persönlichkeit unterschiedlich.
Vergangenheit und Zukunft
In meiner Arbeit mit Patienten beim Zahnarzt hat sich hauptsächlich die Unterscheidung in zwei zeitliche Blickwinkel bewährt. Die eine Variante befasst sich mit zurückliegenden Erlebnissen und darauf aufbauenden Erfahrungen und möglicherweise Ängsten. Die andere Variante schaut in die Zukunft und erarbeitet mit dem Patienten das Ergebnis, das er erreichen möchte und eventuell momentan noch nicht für möglich hält. Auch hier gibt es wieder Patienten, die die eine oder andere Vorgehensweise bevorzugen. Zusammenfassend würde ich sagen, dass eine Mischung aus kurzer Rückschau und konkreter Zukunftsvision bei den meisten Patienten am besten wirkt. Viele unruhige oder ängstliche Patienten kommen mit dem Wunsch, ihre Ängste benennen zu dürfen. Auch wenn es keinen wirklichen therapeutischen Nutzen hat, in negativen Erinnerungen zu schwelgen, fühlt sich der Patient wahrgenommen und angenommen, sobald er seine Befürchtungen teilen darf. Bevor er diese nicht losgeworden ist, ist er nicht wirklich zugänglich und offen für Neues. Zugleich finden Sie heraus, was Sie tunlichst vermeiden sollten. Möglicherweise fand es der Patient schlimm, eine Behandlung ohne Betäubung erlebt zu haben.
Der nächste fand es unverschämt, dass bei einer minimalen Behandlung eine Betäubung vorgeschlagen wurde. Die Vorlieben und Abneigungen erfährt man üblicherweise erst, wenn man den Patienten reden lässt. Sinnvoll ist es dabei dennoch, die Geschichten einzugrenzen, da sie sonst einen zeitlich großen Rahmen einnehmen können, ohne dass sie im Team dem Behandlungsziel näher kommen. Frei nach dem Motto „Zurück in die Zukunft“ sollten Sie Fragen nach der Vergangenheit gleich mit futuristischen Alternativen und Wünschen verbinden. Die Frage „Was lief nicht gut?“ ist zielführender, sobald Sie „Was lief nicht gut und was bevorzugen Sie stattdessen?“ formulieren. In meiner Arbeit gebe ich den Patienten maximal 30 Prozent der Redezeit für vergangene Erfahrungen und Ängste. Die restlichen 70 Prozent leiten in die zukünftigen Wünsche und Behandlungsziele über. Letztendlich lauten die Fragen nur noch „Wie möchten Sie aussehen?“ oder „Wie möchten Sie sich fühlen?“. Da der Patient vorab die Möglichkeit hatte, seine Zweifel und Ängste zu äußern, gelingt es ihm üblicherweise gut, nun die neue Perspektive einzunehmen. Bei aller Theorie über mögliche Ansätze und Techniken der Gesprächsführung hat sich jedoch auch immer wieder bewahrheitet, dass Intuition einer der besten Ratgeber ist. Sobald Sie sich mit den Geschichten aus der Vergangenheit unwohl fühlen, switchen Sie zu den Behandlungszielen. Haben Sie das Gefühl, dass Sie den Patienten zu wenig kennen, um ihn gut zu beraten, lassen Sie ihn noch ein wenig von sich selbst erzählen. Und im Zweifelsfall ist auch ein Kissen das richtige therapeutische Mittel, wenn der Patient sich daran festklammern kann.