Prophylaxe 19.02.2018

Teil 1: Richtiges RKI-Hygienemanagement schützt vor Haftung

Teil 1: Richtiges RKI-Hygienemanagement schützt vor Haftung

Foto: Sergej Cash – shutterstock.com

 In den letzten Jahren ist eine deutliche Zunahme der Haftungsvorwürfe gegen (Zahn-)Ärzte und Krankenhausträger aufgrund von Hygienemängeln und einer sich daran anschließenden Infektion festzustellen. Um dem entgegenzutreten, müssen hygienische Vorgaben, also ein Hygienemanagement, etabliert sein.

Grundlage für ein solides Hygienemanagement bildet neben Reinigungs- und Desinfektionsplänen auch der sogenannte Hygieneplan. Er ist wichtig (und daher auch gesetzliche Vorschrift), um Fehler zu vermeiden und im Schadensfall nachweisen zu können, dass alle gesetzlichen Bestimmungen erfüllt wurden. Das Hygienemanagement sollte nicht nur fachlich, sondern eben auch wegen der rechtlichen Folgen als Bestandteil des Qualitätsmanagements ernst genommen werden und nicht nur auf dem Papier stehen.

Einhalten der Vorschriften schützt Patienten – und Behandler

Hygiene ist zwar unumstößlich und unbestritten Bestandteil eines Qualitätsmanagements (QM), dessen bloße Existenz bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass die hygienischen Maßnahmen und Abläufe dem aktuellen Stand der Vorgabe und des Wissens entsprechen. Egal wie hoch der eigene Wissensstand und der einrichtungsinterne Aufwand für entsprechende, festgelegte Maßnahmen auch sein mögen, jeder muss sich dessen bewusst sein, dass sich trotz aller Bemühungen über die Zeit eine gewisse „Betriebsblindheit“ einschleichen kann oder essenzielle Dinge aus Unkenntnis dem Rotstift zum Opfer fallen. Deswegen hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) als oberstes Gremium in den neuen Vorgaben 2014 ff. auch explizit die Etablierung eines Fehlermanagements gefordert, d. h. ein Eingehen auf die Maßnahmen beim Auftreten eines Fehlers und Sicherstellen der zukünftigen Fehlervermeidung durch klare Anweisung, wie in dem Falle zu verfahren und vor allem zu dokumentieren ist.

Aus diesem Grund schadet es nie, wenn sich Betreiber in regelmäßigen Abständen einer sogenannten „Fremdschau“ durch Fachkräfte im Bereich Hygiene unterziehen, um durch freiwillig auferlegte, externe Betrachtung kritisch zu prüfen, ggf. doch vorhandene Lücken, Schwachstellen oder eingeschlichene Fehler innerhalb des eigenen QMs und der Einrichtung zu erkennen und durch die gewonnenen Erkenntnisse auch zu beseitigen. Dies gilt auch oder gerade bei Praxisneugründungen und -übernahmen, wenn eine gewisse Erfahrung eben noch fehlt.

Der (Zahn-)Arzt bzw. die Klinik hat laut Rechtsprechung „seinen Praxisbetrieb so zu organisieren, dass ein Patient im Zusammenhang mit der Behandlung in der Sprechstunde nicht zu Schaden kommt“. Zu den Dingen, die in medizinischen Einrichtungen zu organisieren sind und die im Zusammenhang mit Behandlungsfehlervorwürfen immer wieder auftauchen, zählt als elementarer Bereich unter anderem die Hygiene. Der Behandlungsvertrag, der als Dienstvertrag definiert wird, verpflichtet somit (Zahn-)Ärztinnen und (Zahn-)Ärzte zu sorgfältiger Arbeit – nicht zu einem Erfolg. Das Auftreten von Komplikationen ist also nicht per se ein Behandlungsfehler. (Zahn-)Ärzte haften nur dann bei Schäden, wenn Sorgfaltsmängel zu diesen geführt haben. Wer die Hygiene-Vorschriften einhält, reduziert das Risiko von Infektionen und Entzündungen – und ist gegen Behandlungsfehlervorwürfe gewappnet. Zu der geschuldeten Sorgfalt zählt – neben einer guten Indikationsstellung und Aufklärung – die Einhaltung der Hygienestandards.

Der Hygieneplan

Die Grundlage für einen erfolgreichen Nachweis, dass die Hygienestandards eingehalten werden, ist das Vorliegen des o. g. aktuellen Hygieneplans. Er ist Bestandteil des Qualitätsmanagements (QM) und in medizinischen Einrichtungen mit invasiven Eingriffen vorgeschrieben. Der Hygieneplan legt alle hygienischen Maßnahmen fest, von der Hände- und Oberflächenreinigung/-desinfektion bis zur Aufbereitung medizinischer Geräte und Medizinprodukte. Gerade der oftmals diskutierte Fall der Fingernägel oder Nagellacke ist gesetzlich klar geregelt und muss vom Betreiber peinlichst genau umgesetzt, im Hygieneplan festgehalten und von den Mitarbeitern bestätigt werden. Auch der Umgang mit Medikamenten und der Abfallentsorgung wird beschrieben und Zuständigkeiten festgelegt. Fehlt ein solcher Plan, wird im Streitfall i.d.R. angenommen, dass grundlegende Regelungen nicht getroffen wurden und somit Hygienemängel bestehen. Den Hygieneplan als wesentlichen organisatorischen Baustein muss das Praxisteam im Alltag mit Leben erfüllen. Eine angemessene Dokumentation der im Einzelfall durchgeführten hygienischen Maßnahmen ergänzt den Plan.

Bei Behandlungsfehlervorwürfen, bei denen die Einhaltung der Hygieneregeln und -standards strittig ist, werden Hygienepläne und -protokolle, Sterilisationsdokumentationen und OP-Berichte herangezogen und genau geprüft. Da können zum Beispiel die ausreichende Einwirkzeit eines Antiseptikums und die persönliche Hygiene, also etwa Händedesinfektion, Mundschutz oder sterile Handschuhe, im Fokus stehen. Folglich muss dies regelmäßig (gem. Hygieneplan) unterwiesen, bestätigt und vor allem dokumentiert, aber auch den aktuellen Bedürfnissen und Anforderungen angepasst werden.Achten Sie insbesondere auch auf die Sicherheitsaufklärung: Sollte trotz aller Hygienevorschriften eine Entzündung/ein Infekt eintreten, so sollten die Patienten darüber aufgeklärt worden sein, dass dies passieren kann. Wichtig ist der Hinweis, dass sie bei entsprechenden Symptomen, die zu benennen sind, sofort einen Arzt aufsuchen.

Schutz der Mitarbeiter

Hygiene ist nicht nur im Zusammenhang mit der Patientenversorgung ein relevantes Thema. Praxisinhaber sind auch als Arbeitgeber verpflichtet, Hygienestandards einzuhalten. Die Beschäftigten einer Praxis sind über die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) unfallversichert; Arbeitgeber respektive Praxisinhaber müssen auch nach Vorschriften der BGW hygienische Anforderungen erfüllen.

Daraus resultiert unter anderem die Pflicht, persönliche Schutzkleidung zur Verfügung zu stellen. Kommt es zu einem Arbeitsunfall, weil ein Arbeitgeber fahrlässig Vorschriften missachtet hat, so wird die BGW zwar die Kosten übernehmen, sich diese aber vom Arbeitgeber erstatten lassen (Regressansprüche). Außerdem besteht das Risiko eines Bußgeldes in Höhe von bis zu 10.000 Euro bei Verstößen gegen die Unfallverhütungsvorschriften bzw. Berufsgenossenschaftliche Vorschriften für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz.

Eine Frage der Haftung

Ein Behandlungs- bzw. Pflegefehler ist immer dann anzunehmen, wenn der (Zahn-)Arzt bzw. das sonst tätig gewordene Personal gegen anerkannte Regeln, zum Beispiel der Hygiene, verstoßen oder sorgfaltswidrig gehandelt hat. Juristisch interessanter für den Betreiber (= Haftenden) und auch den behandelnden (Zahn-)Arzt ist aber die Frage, wen die Haftung im Verschuldensfalle trifft. Durch die letzte Änderung des Infektionsschutzgesetzes IfSG (28. Juli 2011) sowie das aktuelle Patientenrechtegesetz PatRG (26. Februar 2013) hat der Gesetzgeber dem Geschädigten (Patienten) die Beweislast „abgenommen“ und größtenteils in die Hände des Betreibers gelegt.

Anhaltspunkte dazu liefert neben dem IfSG, dem Medizinproduktegesetz MPG und der Medizinprodukte-Betreiberverordnung MPBetreibV in Deutschland, aber auch weltweit, das Robert Koch-Institut (RKI) mit seinen Empfehlungen (KRINKO bzw. ART), die vom Gesetzesgeber mit dem IfSG im Bereich Deutschlands Gesetzescharakter erhalten haben (vgl. dazu § 4 Abs. 2 MPBetreibV, VG Arnsberg Az.: 3 L 1444/4).

Grundlagen für eine mögliche Haftung

Nicht zuletzt aufgrund der öffentlichen Diskussion in den Medien einerseits und der Bestimmung des § 630a Abs. 1 BGB (PatRG) mit Beweislastumkehr andererseits sehen sich Ärzte und Kliniken vermehrt dem Vorwurf einer Haftung aufgrund Hygienemängeln und einer dadurch bedingten Infektion ausgesetzt. Hierbei steht im Mittelpunkt, ob (Zahn-)Arzt oder Klinik die ihnen obliegenden Pflichten auf dem Gebiet der Infektionshygiene verletzt haben. Wesentlich dafür ist die Frage, zu welchen Hygienemaßnahmen beide aufgrund des Behandlungsvertrages verpflichtet sind. Durch die Änderungen 2011 spricht das IfSG nur noch von „Einrichtungen“ medizinischer Art und differenziert nicht mehr zwischen stationär und ambulant (was allerdings in Fachkreisen berechtigterweise umstritten ist).

Den zuständigen Behörden wiederum steht es zu, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um Gefahren für Einzelne (Patienten, aber auch Anwender) oder die Allgemeinheit (Dritte) zu treffen (§ 28 Abs. 1, 2 MPG und § 16 Abs. 1 IfSG), denn nach Artikel 2 GG ist die Gesundheit des Menschen eines der höchsten zu schützenden Güter.

Im dennoch denkbaren und auch real existierenden Schadensfalle muss der Patient zunächst das Vorliegen eines vorwerfbaren Behandlungsfehlers des (Zahn-)Arztes und anschließend einen auf diesem Behandlungsfehler unmittelbar kausal beruhenden Gesundheitsschaden darlegen und beweisen. Für eine Haftung fordert § 630a Abs. 2 BGB, dass der zum Zeitpunkt der Behandlung bestehende, allgemein bekannte fachärztliche Standard verletzt worden sein muss. Hierbei obliegt dem Patienten grundsätzlich die Beweislast bei Hygienemängeln, eine solche Verletzung des allgemein bekannten fachärztlichen Standards darzulegen und zu beweisen. Dies ist naturgemäß äußerst schwierig, da dem Patienten regelmäßig die medizinischen Fachkenntnisse und Einblicke in die Behandlungsabläufe fehlen.

Aus diesem Grund wurde patientenseits gefordert, dass schon allein die Infektion an sich ein sog. „voll beherrschbares Risiko“ sei und in § 630a Abs. 1 BGB eine Beweislastumkehr zulasten der Ärzteschaft gesetzlich normiert ist, mit der Folge, dass bereits bei Vorliegen eines Hygienemangels der behandelnde (Zahn-)Arzt bzw. der Krankenhausträger darzulegen und zu beweisen habe, dass ihn kein Verschulden treffe.

Grundsatz der einhelligen Rechtsprechung

bis heute Dieser Forderung schließt sich der Bundesgerichtshof zunächst nicht uneingeschränkt an. In seiner Grundsatzentscheidung vom 20.03.2007, der die Instanzgerichte folgen, hat der Senat herausgearbeitet, dass dem Patienten im Hygienebereich grundsätzlich keine Beweiserleichterung zugutekommen soll, weil eine „absolute Keimfreiheit im Operationsbereich“ nicht existiert. Die Wege, auf denen sich die Keime verbreiten, entziehen sich umfassender Kontrolle. Ein Behandlungsfehler ist mithin nicht schon deshalb anzunehmen, wenn die Infektion auf Keimen beruht, die von einem Mitglied des Operationsteams ausgegangen sind. Die Rechtsprechung ordnet Keimübertragungen mithin generell als ein „entschädigungslos bleibendes Krankheitsrisiko des Patienten“ ein, wenn sie sich unter nicht beherrschbaren Umständen vollziehen und wenn sie sich trotz Einhaltung aller hygienischen Gebote ereignen. Grundsätzlich haftet der (Zahn-)Arzt also nicht, wenn es anlässlich seiner Behandlung zu einer Infektion kommt.

Fazit

Um die Beweislage für Patienten im Hygienebereich steht es also gar nicht so schlecht, denn es hat sich viel zugunsten der Beweisführung für Patienten getan. Die Rechtsprechung neigt zunehmend dazu, dem Patienten die eine oder andere Beweiserleichterung zuzubilligen, wie beispielsweise über den „voll beherrschbaren Risikobereich“, aufgrund Fehler bei der Hygienedokumentation, über Befunderhebungsfehler sowie den groben Behandlungsfehler. Führt auch das nicht zu einer Haftung, bleiben noch die Gesichtspunkte der Haftung aus nicht indiziertem Eingriff, unzureichender Aufklärung und fehlerhafter Behandlung der eingetretenen Infektion.

Sobald jedoch der Infektionsfall dem hygienisch beherrschbaren Bereich zuzuordnen ist und sich damit ein Risiko verwirklicht hat, das durch den Klinikbetrieb oder den (Zahn-)Arzt gesetzt wurde und durch sachgerechte Organisationen objektiv vermeidbar war, kommt dem Patienten eine enorme Beweiserleichterung zugute, die faktisch einem gewonnenen Prozess gleichkommt.

Der Entlastungsbeweis, dass alle organisatorischen und technischen Vorkehrungen gegen vom Personal, der Klinik oder Praxis ausgehende vermeidbare Keimübertragungen getroffen waren, dürfte kaum je gelingen. Deshalb ist nach einem eingeführten QM mit den entsprechenden Anweisungen (SAA/SOP), regelmäßigen Mitarbeiterschulungen (mindestens einmal jährlich) eine lückenlose Dokumentation aller Verfahrensschritte auch bei der Aufbereitung unumgänglich. Personaltechnisch ist dies allerdings ohne entsprechende, computerbasierte Unterstützung einer gerichtsanerkannten, manipulationsgeschützten Echtzeitdokumentation kaum mehr möglich.

Leider mangelt es den zuständigen Behörden in diesem Falle an der Einsicht, dass gesteigerte Anforderungen in der Umsetzung auch betriebswirtschaftliche Auswirkungen haben, was in Vertragsverhandlungen entsprechende Berücksichtigung finden sollte.

Autor: Dr. Jens Hartmann

Der Artikel ist in DENTALZEITUNG 5/2017 erschienen.

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