Branchenmeldungen 05.05.2022
Was macht die Verkaufbarkeit einer Praxis aus?
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Viele Inhaber von Zahnarztpraxen stellen sich die Frage: Wie kann ich meine Praxis verkaufen? Wie finde ich einen Nachfolger? Oder ist sogar der Verkauf an eine MVZ-Kette bzw. einen Investor möglich?
Diese Fragestellungen sind für viele verkaufswillige Inhaber ein ernsthaftes Problem. Dabei ist klar, dass der Schlüssel zum Verkauf der eigenen Praxis darin liegt, deren Attraktivität für einen Käufer oder einen Nachfolger zu erhöhen. So weit, so trivial. Doch was bedeutet dies im Detail? Fest steht ebenfalls, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Praxis, also die nackten Zahlen, eine wichtige Rolle spielen, wenn nicht die wichtigste. Doch es kommt immer wieder vor, dass auch Praxen, die gute Zahlen aufweisen, nicht verkauft werden. Woran kann das liegen?
Im Folgenden werden eine Reihe „weicherer“ Faktoren jenseits des reinen betriebswirtschaftlichen Zahlenwerks erläutert, über die seltener gesprochen wird. Doch diese Strukturfaktoren sind es, die eine attraktive Praxis von einer durchschnittlichen Praxis abheben.
Irrtümer und Fehlschlüsse
Aus der Erfahrung mit einer Vielzahl an persönlichen Gesprächen mit Praxisabgebern steht fest: Die Fehlschlüsse, die sich um das Thema Praxisverkauf und insbesondere um die Einschätzung der Attraktivität der eigenen Praxis ranken, sind so mannigfaltig und individuell wie die Inhaber selbst.
Auf der einen Seite gibt es jene Praxisabgeber, die meinen, dass ihre Praxis ohnehin verkauft wird, da jede halbwegs stabil laufende Zahnarztpraxis irgendwann schon an den Mann zu bringen sein wird. So ein Gedanke kommt nicht selten vor und solche Abgeber beginnen in der Regel sehr spät mit den Vorbereitungen ihres Praxisverkaufs. Wer die Praxisabgabe erst ein Jahr oder ein halbes Jahr vor dem gewünschten Vollzug der Übertragung organisatorisch angeht, der wird scheitern. Die Faustregel ist hier, dass man die ersten Weichen schon mindestens drei Jahre, in Sonderfällen früher, stellen sollte.
Andere Abgeber wiederum kennen die eigene wirtschaftliche Situation nicht. Was verwunderlich klingen mag, kommt, dies zeigt die Erfahrung, doch überraschend häufig vor: Verkaufswillige Inhaber meinen, über eine sehr gute Praxis zu verfügen, wenn sie eine sehr hohe Scheinzahl aufweisen oder die Praxis einen hohen Privatanteil mit sich bringt. Fragt man sie dann nach dem tatsächlichen Gewinn aus dem letzten Jahr, dann geraten sie häufig ins Stocken. Vielen ist bereits der Unterschied zwischen Umsatz und Gewinn nicht geläufig. Wer die Attraktivität der eigenen Praxis erhöhen möchte, der muss – auch wenn es vielen Zahnmedizinern nachvollziehbarerweise eher fremd ist und ihnen nicht so liegt – die elementaren betriebswirtschaftlichen Grundregeln vergegenwärtigen. Denn die Abgabe der eigenen Zahnarztpraxis ist nichts anderes als ein klassischer Unternehmensverkauf.
Wiederum andere Inhaber meinen, man werde die Praxis schon irgendwie verkaufen können, sodass sich Investitionen nicht mehr lohnen. Um den neuen Behandlungsstuhl oder die neue IT kümmert sich der Käufer. Wirklich? Die Frage ist, ob man eine Praxis mit einem Investitionsstau überhaupt verkauft bekommt, auch wenn die Zahlen solide sind. In eine ähnliche Kerbe schlägt hier das Thema Marketing:
Der Verfasser hört am Telefon nicht selten die Aussage „Die Praxis läuft ja, wozu brauche ich eine Homepage?“. Man sollte sich vergegenwärtigen: Jemand, der die Praxis kauft und sei dies nur ein Kollege, der die Nachfolge antritt, wird die Praxis – ob professionell oder in Eigenregie – bewerten. Und Investitionen und vor allem auch der Außenauftritt (eine moderne Homepage und positive Google-Bewertungen) sind wertbildende Faktoren, um die man nicht herumkommt. Machen Sie sich diese zunutze.
Ebenfalls gibt es die Gruppe von Zahnärzten, die eigentlich eine gute Praxis haben und über viele Strukturfaktoren verfügen, die diese verkaufbar macht, die dies aber nicht realisieren. Manche Abgeber meinen, die Praxis ohnehin nur noch abschließen zu können, und resignieren viel zu früh. Auch dieser Gruppe von Zahnärzten sei ans Herz gelegt, sich mit den Rahmenbedingungen der eigenen Praxis vor dem Hintergrund eines potenziellen Verkaufs zu beschäftigen: Viele Juwelen sind vielleicht als solche noch gar nicht erkennbar, und nur ein paar Schritte sind nötig, um „die Braut hübsch zu machen“ und in den Verkaufsprozess zu starten.
Strukturfaktoren
Jedem ist bewusst, dass der Erlös der Praxis und Patientenklientel sowie die Lage sehr wichtige Faktoren für die Frage der Praxisattraktivität und damit für deren Verkaufbarkeit darstellen. Es gibt aber Faktoren, die im Falle des klassischen Verkaufs an einen zahnärztlichen Nachfolger teilweise in den ersten Gesprächen übersehen werden und dann manchmal später für ein böses Erwachen sorgen. Wünscht man einen Verkauf an einen Investor und führt hier erste Verhandlungen, dann ist der Verkäufer nicht selten überrascht, wenn er den tatsächlichen Praxiskaufvertrag und die dortigen Strukturvorgaben an die Praxis selbst liest. Denn moderne Praxiskaufverträge sind so ausgestaltet, dass der Verkäufer jedenfalls ein Mindestmaß an Garantien für die Beschaffenheit der Praxis abgibt. Wer sich hier von Anfang an solide aufstellt, der wird sich später nicht wundern. Die meisten der nachfolgenden strukturell notwendigen Praxiseigenschaften und Organisationselemente haben gut laufende, moderne Praxen ohnehin umgesetzt.
1. Praxiseinrichtung und Wartung
Von Käufern darf eine Praxiseinrichtung erwartet werden, die zum Betrieb der Praxis vollständig ist, sodass nicht am „Day One“ nach Abgabe der neue Inhaber wichtige Materialien vermisst. Zur Vollständigkeit der Praxiseinrichtung gehört auch die konsequente turnusgemäße Wartung, soweit jeweils nach den Herstellerangaben der Geräte vorgegeben. Mängel der Praxiseinrichtung sollten, sofern dem Abgeber bekannt, ehrlich mitgeteilt werden, da dies später bei arglistig verschwiegenen Mängeln in der Tat rechtliche Probleme mit sich bringen kann. Auch gehört zur Praxiseinrichtung der genaue Überblick über die medizinprodukterechtlichen Vorgaben und insbesondere das Vorhandensein aller medizinrechtlichen Dokumente, vor allem der Betriebsanleitungen der Geräte.
2. Datenschutzkonformität
Eine Praxis, die vier Jahre nach Inkrafttreten der DSGVO noch nicht die dortigen Vorgaben zumindest nach dem Motto „So viel wie nötig, so wenig wie möglich“ umgesetzt hat, wird es bei dem Verkauf schwer haben. Erwartet werden darf, je nach datenschutzrechtlicher Notwendigkeit, die Bestellung eines Datenschutzbeauftragten, der Abschluss von Auftragsverarbeitungsverträgen mit externen Dienstleistern, eine ausreichende Datenschutzerklärung auf der Praxiswebsite nebst korrektem Cookie-Banner, die Führung eines Verarbeitungsverzeichnisses und die korrekte Mitteilung von Datenschutzinformationen in der Praxis.
3. Hygiene
Viele Verkäufer, jedenfalls institutionelle Verkäufer wie MVZ-Ketten/Investorengruppen bestehen auf eine schriftliche Versicherung dahingehend, dass die Praxis Hygieneanforderungen nach den RKI-Richtlinien erfüllt und einen individuellen Hygieneleitfaden nach DAHZ und BZÄK umgesetzt hat. Dieses Thema ist mit der Coronapandemie nochmals weitaus wichtiger geworden.
4. Qualitätsmanagement
Ebenfalls nicht mehr wegzudenken ist für eine moderne und damit verkaufbare Praxis die Erfüllung der Anforderungen des Gemeinsamen Bundesausschusses an ein praxisinternes Qualitätsmanagementsystem (QM). Was sperrig und nach viel Arbeit klingt, ist nach einer Implementationsphase, wie viele Praxismanagerinnen berichten, letztlich das ordnungsgemäße Führen eines Leitz-Ordners mit der Aufschrift „QM“ und die regelmäßige Überprüfung, ob alle Mitarbeiter die Vorgaben einhalten.
5. Personalangelegenheiten
Aufgrund der arbeitnehmerschutzrechtlichen Vorgaben übernimmt die der Käufer einer Praxis alle Arbeitsverhältnisse (§ 613a BGB) und tritt also rechtlich als Arbeitgeber vollständig in die Fußstapfen des vormaligen Inhabers. Das heißt, alle Absprachen, auch mündliche Vereinbarungen, die der Abgeber zuvor mit den Mitarbeitern getroffen hat, wirken nun für und gegen den Nachfolger. Es ist daher im Rahmen der Vorbereitung äußerst empfehlenswert, sich einmal aus der Lohnbuchhaltung ein übersichtliches Lohnjournal erstellen zu lassen und darin insbesondere auch mündliche Absprachen zu vermerken. Immer wieder gibt es Fälle, in denen der Übernehmer mehr als ungehalten ist, wenn er von den einzelnen Mitarbeiterinnen noch zusätzliche Urlaubsansprüche, Weihnachts- und Urlaubsgeld, 13. Monatsgehälter und sonstige Bonifikationen erfährt, die schriftlich nicht vermerkt, aber seit vielen Jahren üblich waren.
Nachhaftung?
Mit dem Verkauf einer Zahnarztpraxis geht eine Rechnungsabgrenzung einher. Das heißt, dass der Abgeber bis zum Stichtag der Übergabe in die eigene Tasche wirtschaftet und danach alle vom Übernehmer erbrachten Leistungen diesem auch zustehen, er aber auch alle Kosten zu tragen hat. Dieser Stichtag der Rechnungsabgrenzung kann jedoch von Dritten nicht beachtet werden. Das beste Beispiel ist hier die Kassenzahnärztliche Vereinigung:
Gibt es spätere Regressverfahren, Wirtschaftlichkeitsprüfungen oder Plausibilitätsprüfungen oder sonstige Honorarkürzungen in Bezug auf das zahnärztliche Honorar aus den Vorquartalen vor Verkauf der Praxis, so sollte im Vorhinein geregelt werden, wen diese Verpflichtung am Ende wirtschaftlich tatsächlich trifft. Hier hilft ebenfalls ein offenes und ehrliches Gespräch und insbesondere eine gute Organisation des eigenen Abrechnungswesens, um hier alle Informationen für die Abgabeverhandlungen parat zu haben.
Und die Moral von der Geschicht‘?
Es ist nicht alles Gold, was glänzt – so ist auch nicht jede Praxis mit soliden Zahlen strukturell gesund. Es sind die oben beschriebenen Strukturfaktoren, an denen ein kundiger Nachfolger oder institutionelle Übernehmer recht genau ablesen können, ob eine Praxis einen hohen Preis wert ist oder gar überhaupt erworben werden sollte.
Wer frühzeitig mit der Organisation der eigenen Praxisabgabe beginnt, die Praxis ganzheitlich betrachtet, möglicherweise sogar gewisse Investitionen nicht scheut und sich fachkundig beraten lässt, der wird nicht selten überraschenden Erfolg bei der Praxisabgabe haben.
Dr. Tobias Witte
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht
Fachanwalt für IT-Recht
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