Finanzen 10.09.2025

Rente, Pflege, Gesundheitsversorgung: Wer bezahlt das Ganze?



Der gesellschaftliche Wandel ­stellt das soziale Sicherungssystem Deutschlands vor tiefgreifende Herausforderungen. Insbesondere die demografische Entwicklung hin zu einer alternden Gesellschaft hat massive Auswirkungen auf Rentensystem, Gesundheitsversorgung und Pflege.

Rente, Pflege, Gesundheitsversorgung: Wer bezahlt das Ganze?

Foto: Portrait: Getty Images – unsplash.com/ Flagge: Karolina Grabowska – unsplash.com

Eine wachsende Zahl älterer ­Menschen benötigt Unterstützung, während die Zahl der Erwerbstätigen, die diese Leistungen finanzieren, abnimmt. Vor diesem Hintergrund drängen sich zentrale Fragen auf: Wie kann die finanzielle Stabi­lität des Sozialstaates langfristig gesichert werden? Welche Reform­ansätze und Finanzierungsmodelle – staatlich wie privat – ­stehen im Raum, um das System nachhaltig zu gestalten? Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland, geht im ZWP-Gespräch darauf ein.

Frau Bentele, welche politischen Maß­nah­men sind aus Ihrer Sicht notwendig, um die gesetzliche Rentenversicherung gerecht und zukunftsfest zu gestalten?

Der Sozialverband VdK setzt sich für eine gerechte und zukunftsfeste Ausgestaltung der gesetzlichen Rentenversicherung ein. Dafür muss das Rentenniveau nicht nur wie geplant bis 2031, sondern dauerhaft stabilisiert werden. Aus unserer Sicht muss es bei 53 Prozent liegen, um den Lebens­standard zu sichern. Eine unserer zentralen For­derungen ist die Einbeziehung aller Erwerbstä­ti­gen in die gesetzliche Rentenversicherung. Künftig sollen auch Beamte, Selbstständige und Politiker verpflichtend in die Rentenversicherung einzah­len. Denn nur so kann langfristig eine solidarische und stabile Finanzierung der Renten sichergestellt werden. Darüber hinaus muss die Beitragsbemessungsgrenze deutlich angehoben werden. Dadurch würden auch hohe Einkommen angemessen zur Finanzierung des Rentensystems herangezo­gen – ein notwendiger Schritt, um die soziale Gerechtigkeit zu stärken. Gleichzeitig sollen sich Arbeitgeber überproportional an den steigenden Rentenbeiträgen beteiligen, um die Beschäftigten zu entlasten und die finanzielle Last fair zu verteilen.

Dringenden Handlungsbedarf sehen wir auch in der dauerhaften Erhöhung der Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung. Der Staat muss seiner Verantwortung für eine verlässliche Altersvorsorge nachkommen und zusätzliche Mittel bereitstellen, um das Rentenniveau langfristig zu sichern. Damit die heute Beschäftigten ausreichend verdienen, um eine Rente zu erwirtschaften, von der sie leben können, muss aus unserer Sicht der gesetzliche Mindestlohn auf 15 EUR pro Stunde angehoben werden. Ein höherer Mindestlohn ist eine unverzichtbare Voraussetzung für mehr Rentengerechtigkeit.

Welche Reformen braucht das Land, um Finanzierbarkeit und Qualität der Pflege zu sichern?

Nach Auffassung des Sozialverbands VdK ist auch eine nachhaltige Finanzierung der Pflege nur durch tiefgreifende strukturelle Reformen möglich, die Solidarität und Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellen. Wir halten die Abschaffung der Trennung zwischen gesetzlicher und privater Pflegeversicherung für längst überfällig. Faktisch ist es so, dass beide identische Leistungen erbringen. Statt an solchen Doppelstrukturen festzuhalten, sollte eine einheitliche, solidarische Pflegeversicherung eingeführt werden, in die alle Menschen einzahlen, um die Finanzierungsbasis zu verbreitern. Die Verbreiterung der Finanzierungsbasis ist ein Thema, das alle Sozialversicherungen betrifft. Das gilt ebenso für eine Anhebung beziehungsweise Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze und eine stärkere Berücksichtigung von Vermögenseinkommen wie Gewinne und Miet­einkünfte. Auf diese Weise sollen Besser­verdienende in der Pflegeversicherung und anderen Sozialversicherungen stärker in die Finanzierung einbezogen werden.

Angesichts der finanziellen Not in der Pflegeversicherung sehen wir akuten Handlungsbedarf. Deshalb ist dringend geboten, dass der Bund Pandemiekosten in Höhe von 5,2 Milliarden ­EUR, die er über den Ausgleichsfonds der sozialen Pflege­versicherung abgerechnet hat, zurückerstattet. Der Bund hat auf zweck­gebundene Beiträge zugegriffen, die ausschließlich den Pflegebedürftigen vorbehalten sein sollten.

Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum Rentenversicherungsbeiträge von Pflegepersonen aus der Pflegekasse bezahlt werden, wie es der Fall ist. Allein für das Jahr 2025 belaufen sich diese Kosten auf knapp 4,4 Milliarden EUR, bis 2030 werden es 6,2 Milliarden sein. Pflegende Angehörige leisten eine wertvolle Arbeit, die gesellschaftlich unverzichtbar ist. Daher sollten deren Rentenversicherungsbeiträge aus Steuermitteln bezahlt werden.

Fraglich ist, wie die Pflege in der Zukunft gewährleistet werden soll, wenn aufgrund des demografischen Wandels die Zahl der Pflegebedürftigen weiter steigt und es gleichzeitig an Pflegefachkräften mangelt. Über 25 Prozent der Beschäftigten in der Altenpflege sind älter als 55 Jahre und in rund 70 Prozent aller Landkreise ist bis 2045 ein Rückgang des Angebots an Pflegekräften zu erwarten. Vor diesem Hintergrund sieht der VdK die Kommunen stärker in der Pflicht, um sowohl die stationäre als auch die ambulante, häusliche Pflege besser zu steuern. Das Ziel muss sein, dass die Planung, Steuerung und Umsetzung von Pflege als Pflichtaufgabe von den Kommunen übernommen wird. Unter ihrer Federführung sollten familiäre, nachbarschaftliche, berufliche und professionelle Pflegeformen miteinander verzahnt werden. Eingebunden werden sollte hier auch die freie Wohlfahrtspflege und weitere Anbieter, um langfristig eine Pflegeinfrastruktur vor Ort zu etablieren, die schon weit vor der Pflegebedürftigkeit greift und Beratung und Präventionsarbeit abdeckt. Der Bund wäre hier in der Pflicht, die Kommunen finanziell so auszustatten, dass sie die pflegerische Versorgung wie beschrieben sicherstellen können.

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„Jetzt braucht es Mut, Weitsicht und den politischen Willen, notwendige Veränderungen anzupacken. Es geht nicht nur um die Zukunft unserer Sozialversicherungen, sondern auch um das Vertrauen der Bürger in die Handlungsfähigkeit des Staates. Eine Politik im Sinne der sozialen Gerechtigkeit ist der Schlüssel, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Glaubwürdigkeit in die Demokratie zu stärken.“

Tatsache ist, dass die Erwerbsbevölkerung schrumpft. Wie lassen sich soziale Sicherungssysteme trotzdem und anders als bisher finanzieren?

Ein zentrales Problem liegt darin, dass die Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung stark belastet werden, weil sie zunehmend Aufgaben finanzieren müssen, die eigentlich gesamtgesellschaftlicher Natur sind. Statt diese politisch gewünschten Leistungen sachgerecht aus dem Bundeshaus­halt zu finanzieren, werden sie auf die Beitragszahler abgewälzt. Das hat sich in diesen drei Sozialversicherungen als Muster etabliert. Die Folge ist eine strukturelle Unterfinanzierung, die letztlich zu immer höheren Beiträgen für die Versicherten führt – und das ist aus unserer Sicht der falsche Weg. Der VdK ist deshalb überzeugt: Wenn Leistungen dem Allgemeinwohl dienen, dann müssen sie auch aus Steuermitteln bezahlt werden. Gemeinsam mit der NGO Fiscal Future haben wir ein steuerpolitisches Konzept entwickelt, das den Staat finanziell in die Lage versetzen würde, genau diese zusätzlichen Belastungen in den Sozialversicherungen auszugleichen. Unsere Vorschläge könnten Mehr­einnahmen von bis zu 100 Milliarden EUR jährlich ein­-bringen – und gleichzeitig mittlere und kleine Einkommen um rund 35 Milliarden EUR entlasten.

Im Zentrum des Konzepts stehen Reformen bei der Erbschafts- und Vermögenssteuer, die Einführung einer Digitalsteuer und einer Finanztransaktionssteuer sowie ein konsequenteres Vorgehen gegen Steuerflucht und Steuerhinterziehung. Damit ließe sich der Sozialstaat gerechter und langfristig tragfähig finanzieren.

Mittelfristig führt aus unserer Sicht angesichts der stark wachsenden Kosten für das Gesundheits­system auch hier kein Weg an einer Bürgerversicherung vorbei, in die alle einzahlen. Die Trennung zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung ist nicht mehr zeitgemäß und sozial un­gerecht. In eine Bürgerversicherung würden alle ihrer Leistungsfähigkeit entsprechend einzahlen und die medizinische Versorgung bekommen, die sie brauchen. Auch für die GKV gilt: Um das System gerechter zu finanzieren, muss die Beitragsbemessungsgrenze gestrichen und auch Einkommen aus Kapitalerträgen, Miet- und Pachteinnahmen für die Berechnung der Beiträge herangezogen werden.

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„Ältere Menschen müssen nach einem langen Arbeitsleben, einer chronischen Erkrankung oder einem Unfall, der sie arbeitsunfähig macht, ohne Angst vor Armut leben können.“

Viele ältere Menschen sind bereits heute auf Unterstützung angewiesen – sei es in der Pflege, der Gesundheitsversorgung oder durch soziale Teilhabe. Was muss sich strukturell ändern, damit ein Altern in Würde für alle möglich ist?

Es braucht dafür existenzsichernde Renten. Der VdK fordert deshalb mittelfristig ein Rentenniveau von 53 Prozent sowie die Abschaffung von Kürzungsfaktoren und Abschlägen bei der Erwerbsminderung. Ältere Menschen müssen nach einem langen Arbeitsleben, einer chronischen Erkrankung oder einem Unfall, der sie arbeitsunfähig macht, ohne Angst vor Armut leben können. Auch jene, die im Alter auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, müssen mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln ein würdevolles Leben führen können. Deshalb braucht es dringend eine Neuberechnung der Grundsicherung im Alter. Politik, Gesellschaft und Sozialversicherungssysteme sind gemeinsam in der Verantwortung, Rahmenbedingungen zu schaffen, die ein materiell abgesichertes, selbstbestimmtes und sozial integriertes Leben ermöglichen. Dazu gehört neben einem ausreichenden Einkommen aber auch eine funktionierende Daseinsvorsorge, wie zum Beispiel eine gute ärztliche Versorgung am Wohnort und Städte und Dörfer, die barrierefrei sind.

Ein zentraler Aspekt für ein würdevolles Altern ist die Selbstbestim­mung – insbesondere die Entscheidung darüber, wo man leben möchte. Die meisten Menschen wünschen sich, auch bei einer Pflege­bedürftigkeit in den eigenen vier Wänden bleiben zu kön­nen. Deshalb ist es besonders wichtig, die ambulante und häus­liche Pflege weiter zu verbessern.

Im Jahr 2023 wurden 85,9 Prozent der Pflegebedürf­tigen – das sind rund 4,88 Millionen Menschen – überwiegend von Angehörigen oder in Kombina­-tion mit ambulanten Pflege- und Betreuungsdiensten zu Hause versorgt. Diese Menschen müssen einen guten Zugang zu Kurzzeitpflege, Tagespflege und niedrigschwelligen Entlastungsangeboten haben. Und auf der anderen Seite müssen die pflegenden Ange­hörigen, die Tag für Tag einen unglaublich wichtigen Job machen, stärker in den Fokus rücken. Da denke ich insbesondere an eine bessere Vereinbarkeit von Pflege und Be­ruf und vor allem an die Einführung eines Pflegelohns.

Damit Pflegebedürftige möglichst lange in ihrem gewohnten Umfeld bleiben können, benötigen sie außerdem ausreichende Zuschüsse für den barrierefreien Umbau ihrer Wohnungen. Darüber hinaus sind sie auf klare und verständliche Informationen über ihre Pflegeleis­tungen angewiesen, um diese auch tatsächlich in Anspruch nehmen zu können. 

Zur Person


Verena Bentele ist Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland.

ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis 09/25

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Dieser Beitrag ist in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis erschienen.

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