Patienten 09.05.2017

Problempatienten mit stomatognath fixierter psychogener Störung



Problempatienten mit stomatognath fixierter psychogener Störung

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Teil 1

Dieser Beitrag beschreibt Gemeinsamkeiten und Charakteristika von Patienten mit einer speziellen manifesten psychischen bzw. psychosomatischen Störung. Die Intention als zahnärztlicher Autor ohne besondere psychologische oder psychiatrische Ausbildung liegt dabei auf einer eher deskriptiven Darstellung von Auffälligkeiten dieser Patienten, aus der möglicherweise für Kollegen Rückschlüsse für den besseren Umgang mit diesen Patienten in der Praxis bzw. Hinweise auf eine bessere Früherkennung und Negativselektion erfolgen können. Die dargestellten Sachverhalte und Überlegungen basieren auf den eigenen persönlichen Erfahrungen als eher exponierter Spezialist für Funktion und Ästhetik der DGÄZ.

Möglicherweise ist die Häufigkeit derartiger Problempatienten in einer allgemeinzahnärztlichen Praxis geringer, dennoch ist davon auszugehen, dass jeder Zahnarzt regelmäßig mit Patienten zu tun hat, bei denen eine aktuelle psychische Störung vorliegt oder im Laufe einer umfangreichen Behandlung zum Tragen kommt, denn ein Drittel der Bevölkerung weisen im Laufe eines Jahres gerechnet eine oder mehrere klinisch bedeutsame psychische Störungen auf. Am häufigsten sind dabei Angststörungen mit 16,2 %, somatoforme Störungen sind mit 3,3 % vertreten (Abb. 1). Einige häufig anzutreffende Auffälligkeiten solcher Patienten seien hier aufgeführt und erläutert. Womit diese genau ursächlich zusammenhängen, kann nicht beantwortet werden, aber das Gesamtbild gibt einen Eindruck von regelmäßig wiederkehrenden Phänotypen.

Besonderheiten des Kauorgans und der Zähne

Unser stomatognathes System hat einen besonderen Stellenwert unter den Körperteilen und eignet sich anscheinend in besonderem Maße als Ausgangs- oder Bezugsobjekt einer fixen Idee. Neben all den an dieser Stelle als bekannt vorausgesetzten Eigenschaften und Funktionen der Zähne macht sie die Tatsache außergewöhnlich, dass sie sich als einzige sichtbare Körperteile, die aus fester Substanz bestehen, dauerhaft von Menschenhand wiederhergestellt oder verändert werden können. Anders als bei Haaren oder Fingernägeln, die nur kosmetisch verändert werden und einem ständigen Wuchs unterliegen, ist das beabsichtigte Ziel von restaurativen Zahnbehandlungen in der Regel endgültiger Art. Gleichzeitig aber ist jedem Menschen bewusst, dass die eigenen natürlichen Zähne als einzigartige und extrem widerstandsfähige lebende Organe sehr wertvoll sind und ein Substanzverlust von Zahnschmelz, Dentin, Pulpa im Grunde unwiederbringlich ist, und diese nach Möglichkeit ein Leben lang gesund erhalten werden sollten. Hinzu kommt, dass der naturgetreue Ersatz von Zähnen mit sehr hohen Kosten verbunden ist. Es ist also sowohl der hohe Wert der eigenen Zähne bewusst als auch die theoretische Möglichkeit einer Wiederherstellung oder gar Verbesserung vorstellbar. Werbende Versprechungen von uns Zahnärzten unterstützen den Eindruck, dass es möglich sein müsse, jedes zahnme­dizinische Problem vollständig im Sinne einer „Restitutio ad integrum“ zu beheben. Dass dies per se für keine Art von Prothese der Fall sein kann, sollten sich sowohl Laien als auch Fachleute immer wieder ins Bewusstsein rufen. Dieser Widerspruch erzeugt einen Zwiespalt, der offensichtlich unter bestimmten Voraussetzungen, z. B. einer psychischen Prädisposition, einem mentalen Trauma, einer negativen zahnärztlichen Vorgeschichte u. v. a. dazu führen kann, dass sich eine auf den Zustand der Zähne und des Kauorgans fixierte Psychose ausbildet.

Schizophrene Tendenzen

In verschiedenen Aspekten verhalten sich diese Patienten widersprüchlich, ohne sich dessen bewusst zu sein oder sich davon abbringen zu lassen. Diese Patienten versuchen häufig, sowohl durch Jammern, Betteln oder Einschmeicheln sowie dann auch durch Drohungen und Ausübung von Druck zu erreichen, dass der Zahnarzt oder das Praxisteam ihren Vorstellungen entsprechend handelt. Dass bei einem fremden Dritten durch Betteln an die Mitmenschlichkeit appelliert wird, hingegen durch Drohungen Aversionen erzeugt werden, dessen sind sich die Patienten offensichtlich nicht gewahr. Als Zahnarzt sollte man vorsichtig sein, wenn ein Patient gleich zu Beginn Einladungen im privaten Bereich ausspricht oder Geschenke bringt. Zumeist reißen sich diese Patienten im Erstgespräch sehr zusammen und versuchen, einen besonders konzilianten Eindruck zu vermitteln. Da in der Regel eine längere Vorgeschichte erfolgloser Behandlungen und Konflikte mit anderen Zahnärzten vorangegangen ist, spüren diese Patienten, dass sie den nächsten Zahnarzt nicht gleich zu Beginn verschrecken dürfen. Auch dies ist ein Teil dieser gespaltenen Mentalität: Die anderen Zahnärzte sind vermeintlich alle schlecht und der neu gefundene Zahnarzt der ein­zige, der nun Rettung bringen kann und soll. Es werden sehr hohe Erwartungen in den neuen Behandler gesetzt und vorsichtige oder relativierende Aussagen beiseite gewischt. Die Einsicht, dass der größte Anteil aller Zahnärzte normalerweise so gut wie alle Patienten vernünftig versorgen kann, würde ja direkt zu der Einsicht führen, dass das Problem nicht an der Zahnärzteschaft, sondern beim Patienten selbst liegt. Die geleugnete Möglichkeit, sich selbst für verrückt zu halten, oder für verrückt gehalten zu werden, ist aber das, was nicht sein darf.

Ein weiterer häufiger Aspekt der Spaltung ist die Überzeugung, dass der eigene Fall ja eigentlich ganz einfach zu behandeln sei, gepaart mit der Vermutung, man selbst wisse genau, was zu tun sei und demgegenüber die offensichtliche Tatsache, dass alle vorherigen Behandlungen gescheitert sind. Nicht selten eignen sich diese Pateinten ein umfassendes Detailwissen im Internet an, insbesondere zu Materialien. Wenn bei Patienten übliche und bewährte Therapievorschläge nicht mit deren vorgefassten Vorstellungen über die „richtige“ Behandlung oder Material übereinstimmen, dann ist allergrößte Vorsicht geboten, sich als Zahnarzt oder Zahntechniker nicht beeinflussen zu lassen. Dies gilt auch für den zeitlichen Ablauf. Des Weiteren ist auch nicht schlüssig, dass die „endgültige“ und „richtige“ Versorgung der Zähne als sehr dringend und ausschlaggebend empfunden wird, gleichzeitig aber die meisten dieser Patienten oft jahrelang mit umfangreichen oder unzulänglichen Provisorien, fehlenden Zähnen und insuffizienten Bissverhältnissen zurechtkommen (weil der Mensch ja objektiv auch ohne Zähne leben kann). Schließlich zeigen sich die zwei Gesichter des Patienten spätestens dann, wenn die anfänglichen überhöhten Erwartungen in bittere Enttäuschung umgeschlagen sind. Dann werden solche Patienten oft niederträchtig und setzen ihre Energie darauf ein, dem Zahnarzt möglichst zu schaden, sei es durch Zahlungsverweigerung, belastende Schriftwechsel, die Einbeziehung von Kammern, Versicherungen und Gerichten, Negativbewertungen im Internet oder (wie selbst erlebt) sogar Stalking.

Vertrauensverlust

Wie bereits erwähnt, ist bei solchen Patienten das für jede Behandlung erforderliche Grundvertrauen in die Fähigkeiten und Absichten der Zahnärzte verloren gegangen. Dies führt häufig zu dem Bestreben einer Fernsteuerung des Zahnarztes, Zahntechnikers und des Praxisteams. Das Trauma einer missglückten Zahnbehandlung oder eines unwiederbringlichen Verlustes von Zahnsubstanz, Zähnen oder Hart-/Weichgewebe mag zu einem solchen Vertrauensverlust führen. In der Folge wird zunächst jede Aussage des Arztes sehr kritisch auf­genommen und nur akzeptiert, wenn sie mit der ­eigenen vorgefassten Auffassung übereinstimmt. Stimmt sie nicht überein, dann entfernt sich der Patient innerlich wieder vom Zahnarzt, was durch die Körpersprache und Mimik zumeist deutlich zum Ausdruck kommt. Beobachten Sie Ihre Patienten besonders aufmerksam in den Momenten, wenn Sie unbequeme Wahrheiten aussprechen. Eine Patientin, der ich ansah und auf den Kopf zusagte, dass ich merke, dass das, was ich zu ihrer Situation sagte, nicht das sei, was sie hören wolle, sprach es sogar aus und meinte, dass meine Aussagen zu 50 % dem entsprächen, was sie hören wolle. Jegliches weitere Gespräch oder gar eine Behandlung erübrigt sich an diesem Punkt. Ich konnte ihr nur noch den „Rat“ geben, besser einen Kollegen zu suchen, der zu 100 % das sagt, was sie hören wolle.

Nicht selten treten auch Charakterzüge von Phobien zutage, und zwar nicht so sehr hinsichtlich einer „Zahnarztangst“, sondern vielmehr in Bezug auf Materialien, Vergiftungen oder Pfusch im Mund. ­Diverse Angststörungen sind auch allgemein unter den psychischen Störungen relativ häufig anzutreffen, sodass hier eine allgemeine Neigung zu übertriebenen Ängsten eine Rolle spielen mag.

Zentrierung des Problems

Als weiteres Merkmal rückt die Zahnproblematik massiv ins Zentrum der eigenen Aufmerksamkeit, des Denkens und Handelns. Unvorstellbar viel Zeit, Energie und Geld wird auf das Zahnthema und die dazugehörigen Nebenkriegsschauplätze verwendet. Während sich normale Patienten nicht kontinuierlich mit dem Zustand im eigenen Mund beschäftigen, befassen sich diese Pateinten bis zu mehrmals am Tag mit ihren Zähnen. Die Zahnprobleme werden häufig auch als ursächlich für oder im Zusammenhang stehend mit weiteren Beschwerden oder Missempfindungen wahrgenommen. Andere mögliche Ursachen werden dabei ausgeblendet. Eine gründliche Anamnese ergibt oft eine Unmenge an weiteren Leiden, die das Grundproblem und eine exakte Diagnostik verschleiern oder verkomplizieren. Wenn, wie häufig der Fall, diesen subjektiven Übeln ebenfalls psychogene Ursachen oder Komponenten zugrunde liegen, wird die vom Patienten erwartete Beseitigung oder gar Verbesserung dieses vielfältigen Beschwerdebildes durch den Zahnarzt unmöglich.
Ein deutlicher Hinweis auf eine psychogene Ursache liegt dann vor, wenn laut Angabe des Patienten nach einer bestimmten Behandlungsmaßnahme kurzfristig eine Verbesserung eingetreten ist, aber dann nicht ganz verschwunden ist, oder, noch eindeutiger, ein anderes oder neues Problem nun in den Vordergrund gerückt ist. „Ja, aber“ ist das, was man dann am häufigsten hört und man kann dem Patienten versprechen, dass egal, was man als Zahnarzt unternimmt, immer wieder ein neues Problem auftauchen wird.

Aufmerksamkeitsdefizit

Dies steht im Zusammenhang mit einem weiteren häufigen Charakteristikum – für etliche dieser Pa­tienten ist die kontinuierliche Behandlung selbst ein Mittel, über längere Zeit und regelmäßig ungeteilte Aufmerksamkeit zu erhalten. Unbewusst soll die Behandlung niemals ganz zu Ende sein. Hier wird ausgenutzt, dass ein Arzt den Aussagen eines Patienten zunächst einmal immer Glauben schenken sollte. Gerade bei Zähnen soll ein Patient nicht mit Störkontakten, Schmerzen oder einem unguten Gefühl aus der Praxis gehen. Da den Patienten selbst nicht bewusst ist, dass von ihnen nicht erwartet wird, noch die letzte Imperfektion oder Unbehagen aufzuspüren, sondern den neuen Zustand letztendlich zu adaptieren, erscheinen die Angaben des Patienten auch authentisch, sodass es einem oft schwerfällt, weitere Korrekturmaßnahmen zu verweigern.

Die Angabe von Beschwerden ist auch das wirkungsvollste Mittel der Patienten, um psychischen Druck aufzubauen, denn einen Schmerzfall verweigert ein Arzt nicht und macht dafür auch frühere Termine möglich. In einem erlebten Beispiel er­zwang eine Patientin die Nachbesserung an LZPs mit der Aussage, die Ränder seien undicht und dies bereitete extreme Schmerzen. Als dann die Provisorien nach der Unterfütterung der Ränder wieder ­befestigt wurden, waren die nicht anästhesierten Zähne völlig unempfindlich beim Trocknen mit dem Luftpüster. Es ist also durchaus möglich, von Patienten willentlich oder unwillentlich angelogen zu werden. Die Gründe für die Vorenthaltung, Verheimlichung oder Verdrehung wichtiger Informationen können vielfältig sein. Oft ist den Patienten nicht bewusst und wird nicht eingestanden, dass im Grunde ein ganz anderer Wunsch treibend ist, wie zum Beispiel die Unzufriedenheit mit dem Aussehen oder seelische Leiden verschiedenster Art.

Falls man als Behandler dennoch der Meinung ist, dass sich die Probleme mit zahnärztlichen Mitteln, Kompetenz und besonderer Sorgfalt lösen lassen, so ist unbedingt zu empfehlen, mit solchen Patienten eine freie Honorarvereinbarung zu treffen, die auf Basis der geleisteten Zeit kalkuliert wurde. Denn diese Art von Betreuung und Behandlung, die auch mit extrem viel Kommunikation verbunden ist, wird von der Gebührenordnung in keiner Weise abgedeckt. Außerdem sollten Akontozahlungen in 100 % der veranschlagten Höhe verlangt werden, da diese Patienten zumeist der irrigen Annahme unterliegen, das Honorar werde nur fällig, nachdem das subjektive Wohlbefinden und sämtliche vermeintlichen Probleme behoben worden sind. Regelmäßig wird die Begleichung der Rechnung in solchen Fällen verweigert und es kommt zu gerichtlichen Auseinandersetzungen mit teilweise mehreren Zahnärzten nacheinander.

In Ausgabe 3/2017 der cosmetic dentistry werden im zweiten Teil des Artikels die Aspekte Vorbehandler, Zwangsstörungen sowie allgemeine psychische Störungen und Belastungen näher betrachtet.

Dieser Beitrag ist in der cosmetic dentistry 2/2017 erschienen.

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