Recht 12.09.2024
Arbeitsrecht im Gesundheitswesen – Ein Update
share
Arbeitszeiten, Urlaubsanspruch, Überstunden und Co.: Das komplexe Arbeitsrecht sorgt regelmäßig für Unklarheiten und stellt viele Arbeitgeber vor eine große Herausforderung. Häufig sind die Rechtsvorschriften im Arbeitsrecht zudem nicht ganz eindeutig und selbst Praktikern fällt es schwer, den Überblick über die vielen Regelungen und Urteile zu behalten. Welche Rechte haben Sie und welche Rechte Ihre Mitarbeiter? Welche Pflichten gilt es beiderseitig einzuhalten?
Wir fassen einige wichtige Fakten für Ihre kieferorthopädische Praxis zusammen.
Dauerthema: Praxisübernahme/Praxisverkauf
Eine Praxis lebt von den Menschen, die in ihr arbeiten. Sie generieren die Umsätze und sorgen dafür, dass Patienten zurückkehren. Gleichzeitig stellen Personalkosten einen wesentlichen Wirtschaftsfaktor dar, der vor einer Veränderung genau geprüft werden muss.
Bei einem Praxisverkauf gehen die Arbeitsverträge kraft Gesetzes auf den Käufer über, ebenso wie alle Rechte und Pflichten aus den bestehenden Arbeitsverhältnissen, es sei denn, die Mitarbeiter widersprechen dem Übergang.
Eine gründliche arbeitsrechtliche Prüfung der bestehenden Arbeitsverträge ist unerlässlich. Häufig sind ältere Verträge in einzelnen Klauseln unwirksam und entsprechen nicht mehr den aktuellen gesetzlichen Anforderungen. Zu lange oder zu kurze Kündigungsfristen, Ansprüche auf Sonderzahlungen, ungünstige Urlaubsregelungen oder unerwartete Vergütungsregelungen können Probleme verursachen. Eine frühzeitige Optimierung der Verträge hilft, Risiken wirtschaftlich zu kalkulieren.
Klarer Trend: Anstellung
Seit 2019 ist es für Vertragszahnärzte/Kieferorthopäden möglich, bis zu vier vollzeitbeschäftigte Kieferorthopäden anzustellen, was den Trend zur Anstellung gegenüber der eigenen Niederlassung verstärkt. Dieser Wandel erfordert auch ein Umdenken in der Gehaltsgestaltung. Aufgrund des spürbaren Fachkräftemangels sind attraktive Vergütungsmodelle gefragt, um qualifiziertes Personal nicht nur zu gewinnen, sondern auch langfristig zu binden. So ist die Umsatzbeteiligung ein beliebtes Instrument geworden, um Mitarbeiter zu motivieren und an die Praxis zu binden.
Vorteile und Nachteile der Umsatzbeteiligung
Trotz der Vorteile, die eine Umsatzbeteiligung mit sich bringt, birgt sie auch rechtliche Fallstricke. Die Vergütung ist direkt an die erbrachte Arbeitsleistung gekoppelt und wird daher auch während Urlaubs- oder Krankheitszeiten fällig. Praxisinhaber müssen daher nicht nur die Höhe der umsatzabhängigen Vergütung genau kalkulieren, sondern auch den damit verbundenen Verwaltungsaufwand berücksichtigen. Zudem muss transparent sichergestellt werden, dass die Umsätze korrekt ermittelt und die Beteiligungen entsprechend ausgezahlt werden.
Richtige Strategie
Praxisinhaber stehen vor der Herausforderung, ein Vergütungskonzept zu entwickeln, das sowohl betriebswirtschaftlich tragbar als auch motivierend für die Mitarbeiter ist. Dazu gehört, dass sie sich genau überlegen, welche Umsatzzahlen maßgeblich sind, wann und wie die Umsatzbeteiligung ausgezahlt und ob eine Umsatzschwelle vereinbart wird. Eine genaue Klärung dieser und weiterer Fragen ist essenziell, um nicht unbedacht finanzielle Risiken einzugehen und Streitigkeiten zu vermeiden.
Rechtliche Betrachtungen während des Urlaubs und der Krankheit
Es ist wichtig zu verstehen, dass die Umsatzbeteiligung auch während des Urlaubs oder bei Krankheit als Teil des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes berücksichtigt werden muss. Dies stößt oft auf Unverständnis, da Arbeitgeber annehmen könnten, dass ohne Erbringung der Arbeit keine Umsatzbeteiligung fällig sein sollte. Die rechtliche Lage sieht jedoch anders aus: Das Urlaubsrecht und die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sind Ausnahmen von der Regel „Kein Lohn ohne Arbeit“.
Die Inflationsausgleichsprämie – aus und vorbei
Die steuer- und sozialabgabenfreie Inflationsausgleichsprämie kann den Mitarbeitenden als solchen nur noch bis Ende des Jahres 2024 gewährt werden. Die freiwillige Prämie kann sich auf insgesamt bis zu 3.000 € belaufen und muss als Ausgleich auf die Inflation explizit als Sonderzahlung gewährt werden. Dabei kann sie genauso gut in einer Summe wie auch in mehreren Einzelzahlungen oder sogar in monatlichen Teilbeträgen ausgezahlt werden. Gerade bei monatlichen Teilzahlungen ist Vorsicht geboten, damit – neben den üblichen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsätzen – auch die steuerlichen Voraussetzungen für die Einordnung als Inflationsprämie vorliegen. Bei der Ausgestaltung sollte unbedingt eine qualifizierte Beratung in Anspruch genommen werden, um nicht Gefahr zu laufen ungewollt eine steuerrelevante und langfristige Lohnerhöhung zu vereinbaren.
Klassiker: Kündigung und Krankschreibung: Krankschreibung im Kündigungszeitraum – glaubwürdig?
Der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt trotz entgegenstehender Erfahrungswerte immer noch ein hoher Beweiswert zu. Zweifel entstehen aber dann, wenn die fehlende Arbeitsfähigkeit in zeitlichem Zusammenhang mit einer Konfliktsituation am Arbeitsplatz steht, insbesondere wenn sie auf den Zeitraum zwischen Kündigung und Ende des Arbeitsverhältnisses trifft.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 8.9.2021 – 5 AZR 149/21) ist der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung jedenfalls dann erschüttert, wenn diese genau die Restlaufzeit des Arbeitsverhältnisses nach der Kündigung des Arbeitnehmers abdeckt. Der oder dem Arbeitnehmenden obliegt es dann, weitere geeignete Beweise zum Nachweis einer tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit beizubringen.
Erfolgt die Krankschreibung auch nur einen Tag vor Zugang der Kündigung und wird dann exakt bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses verlängert, findet das LAG Niedersachsen dies wiederum glaubwürdig (Urt. v. 8.3.2023, Az.: 8 Sa 859/22).
Auch das LAG Mecklenburg-Vorpommern (Urt. v. 13.7.2023 – 5 Sa 1/23) sieht den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die nach einer (eigenen) Kündigung ergeht, nicht von vorneherein erschüttert. Auch eine zehn Stunden andauernde Bahnfahrt, die der in diesem Fall gekündigte Chefarzt unternahm, wertete das Gericht nicht als Indiz für das Vortäuschen einer Erkrankung, da die Bahnfahrt immer noch weniger anstrengend als die Chefarzttätigkeit sei.
Mitarbeiterführung und Bindung durch richtige Arbeitsverträge
Die richtige Gestaltung Ihrer Arbeitsverträge kann dazu beitragen, dass Sie zu einer attraktiven Arbeitgebermarke werden, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Gleichzeitig werden Neuerungen aus der Rechtsprechung zur Konkretisierung von Abgeltungsklauseln, zu Urlaubsregelungen, dem Nachweisgesetz wie auch datenschutzrechtliche Aspekte immer wichtiger und müssen im Arbeitsvertrag Einzug finden. Selbstverständlich ist das Arbeitsrecht nur ein Tool zur Mitarbeiterführung und Bindung. Manchmal sind auch Kleinigkeiten entscheidend, ob ein Mitarbeiter bleibt oder nicht. So sollten z.B. Kündigungsregelugen auf den ersten Seiten des Arbeitsvertrags vermieden werden. Gleiches gilt für Befristungen. Teilweise kann es auch sinnvoll sein, den trockenen Arbeitsvertrag in die Du-Form zu bringen.
Dieser Artikel ist in der KN Kieferorthopädie Nachrichten erschienen.