Recht 31.03.2014
Mitnahme von Patienten erfüllt Abfindungsanspruch
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Scheidet ein Zahnarzt aus einer Berufsausübungsgemeinschaft aus und hat er anschließend die Möglichkeit, die Patienten aus der bisherigen Praxis in seiner neuen Praxis weiter zu behandeln, ist ein Ausgleich des Goodwills zwischen den bisherigen Praxispartnern nicht mehr erforderlich.
Vielmehr hat sich der nach § 738 BGB gebotene Ausgleich in diesem Fall bereits durch den „Mitnahme-Vorteil” des Ausscheidenden realisiert. Dies entschied das Oberlandesgericht Frankfurt am Main bereits 2010. Das Urteil wurde nun rechtskräftig, nachdem der Bundesgerichtshof eine hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen hat. Die Parteien des Rechtsstreits sind Zahnärzte. Der Beklagte betrieb seit 1986 in einer mittelgroßen Stadt eine zahnärztliche Einzelpraxis. Im Jahr 2000 trat der Kläger in die Einzelpraxis des Beklagten ein und diese wurde nachfolgend als zahnärztliche Gemeinschaftspraxis in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts fortgeführt. Ein schriftlicher Gesellschaftsvertrag wurde nicht abgeschlossen. Es war jedoch mündlich vereinbart, dass der Kläger von den von ihm selbst erwirtschafteten Honorareinnahmen 30 Prozent, ab dem 01.10.2001 35 Prozent, erhalten sollte; der Differenzbetrag sollte dem Beklagten zustehen. Weitere gesellschaftsrechtliche Vereinbarungen wurden von den Parteien auch mündlich nicht getroffen.
2004 kündigte der Kläger den Gemeinschaftspraxisvertrag und betreibt seitdem eine Einzelpraxis ca. 500 Meter entfernt von der früheren Gemeinschaftspraxis. Dabei hatte der Kläger eine bereits bestehende Zahnarztpraxis nebst Kundenstamm käuflich erworben. Der Kläger verlangte nun die Zahlung von 50 Prozent des ideellen Praxiswertes im Sinne eines Goodwill. Der Kläger errechnete den Praxiswert mit 20 bis 25 Prozent des durchschnittlichen Jahresbruttoumsatzes der letzten drei Jahre. Danach wurde ein Ausgleichsbetrag in Höhe von ca. 70.000 EUR ermittelt. Der Beklagte wandte hiergegen ein, dem Anspruch des Klägers stehe die mündliche Gewinnverteilungsvereinbarung entgegen, welche weitergehende Ansprüche ausschließe. Jedenfalls sei der Kläger danach am Goodwill allenfalls zu 35 Prozent zu beteiligen. Zudem habe der Kläger den Goodwill in Form der Mitnahme von Patienten bereits realisiert, sodass ihm ein diesbezüglicher Ausgleichsanspruch in Geld nicht zustehe. Der Goodwill beruhe zu dem überwiegend auf der langjährigen Tätigkeit des Beklagten, während der Kläger dazu nur mit einer relativ kurzen Tätigkeit von ca. 3,5 Jahren beigetragen habe.
Das zunächst zuständige Landgericht ließ die Argumente des Beklagten nicht gelten und gab dem Zahlungsanspruch des Klägers in vollem Umfang statt. Zur Begründung führte es aus, die gesetzlichen Regeln über die Auseinandersetzung einer BGB-Gesellschaft kämen in vollem Umfang zur Anwendung, mithin auch die Vorschrift des § 738 BGB. Dem stehe die etwaige Mitnahme von Patienten durch den Kläger nach dessen Ausscheiden nicht entgegen, denn vorliegend fehle es an einem Wettbewerbsverbot. Daher verbleibe es bei der gesetzlichen Regelung, wonach dem Kläger 50 Prozent des Praxiswertes als Goodwill zustünden, den das Gericht auf insgesamt ca. 140.000 EUR geschätzt hatte. Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten mit Unterstützung der Lyck & Pätzold Medizinanwälte. Die Anwälte trugen vor, dass dem vom Landgericht zuerkannten Abfindungsanspruch bereits entgegenstehe, dass der Kläger durch die Möglichkeit der Mitnahme von Patienten – wegen des fehlenden Wettbewerbsverbots – den Goodwill bereits realisiert habe, sodass bei Zuerkennung des vorliegenden Anspruchs im Ergebnis eine doppelte Abfindung des immateriellen Praxiswertes erfolgen würde. Nachdem der Kläger in unmittelbarer Nähe zur bisherigen Gemeinschaftspraxis eine neue Einzelpraxis errichtet habe und auch ein Wettbewerbsverbot nicht vorliege, bestehe für den Kläger die Möglichkeit der Mitnahme von Patienten aus der früheren Gemeinschaftspraxis.
Nach Auffassung der Lyck & Pätzold Medizinanwälte war der Hinweis des Landgerichts auf ein fehlendes Wettbewerbsverbot unzureichend. Denn die gesetzliche Regelung sehe nicht die Einräumung eines Abfindungsanspruchs und zugleich auch noch die Zulassung einer Wettbewerbstätigkeit vor. Vielmehr erlösche der Anspruch auf den anteiligen immateriellen Wert, wenn kein Wettbewerbsverbot bestehe und sich der ausscheidende Partner im Einzugsbereich der bisherigen Praxis niederlasse. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main folgte dieser Argumentation und gab der Berufung statt. Grundsätzlich bejahte das Oberlandesgericht zwar einen Abfindungsanspruch des Klägers aus § 738 BGB auf anteilige Erstattung des Goodwill. Dieser Anspruch ist nach Auffassung des Gerichts jedoch vorliegend bereits als erfüllt anzusehen, sodass eine weitergehende Ausgleichszahlung nicht gerechtfertigt ist. Das Oberlandesgericht erachtete es als angemessen und sachgerecht, dass eine Freiberuflerpraxis vorrangig durch Realteilung in Form der Mitnahme von Patienten auseinandergesetzt wird und der nach § 738 BGB gebotene Ausgleich mithin durch den „Mitnahme-Vorteil” des Ausscheidenden realisiert wird. Diese Rechtsprechung fußt auf der Annahme, dass der Wert einer Zahnarztpraxis im Wesentlichen durch die persönliche Beziehung zwischen den Patienten und den sie behandelnden Ärzten bestimmt wird.
Sie wird damit begründet, dass andernfalls eine doppelte Abfindung des ausscheidenden Gesellschafters im Sinne einer Kumulierung von Patientenmitnahme und Beteiligung am Geschäftswert erfolgen würde. Die genannte Regelung ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung als „Normalfall” oder „Regelfall” anzusehen; es ist mithin nicht ausgeschlossen, dass die Gesellschafter eine anderweitige vertragliche Regelung für den Abfindungsanspruch treffen können, was vorliegend jedoch nicht der Fall war. Nach der überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur reicht bereits die rechtlich nicht beschränkte Möglichkeit der Mitnahme von Patienten aus, um den Abfindungsanspruch als erfüllt anzusehen (so z.B. BGH in DStR 94, 401 mit Anmerkung von Goette; BGH in ZIP 94, 378; OLG Celle in MedR 03, 102; OLG Karlsruhe in NZG 01, 654). Dabei kommt es nicht darauf an, ob und in welchem Umfang sich diese Möglichkeit tatsächlich verwirklicht hat.
Das Urteil ist rechtskräftig, nachdem der Bundesgerichtshof die gegen das Urteil erhobene Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen hat.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN, Az. 3 U 50/09.
Fazit
Um langwierige und kostenintensive Streitigkeiten im Falle der Auflösung einer Berufsausübungsgemeinschaft zu vermeiden, ist es wichtig, dass der Praxisvertrag die Folgen einer Auseinandersetzung der Berufsausübungsgemeinschaft eindeutig regelt. Die Investition in einen guten Praxisvertrag wird sich spätestens im Fall einer Trennung der Praxispartner für alle Beteiligten mehrfach auszahlen. Zudem sollten Praxisverträge daraufhin geprüft werden, ob ein im Vertrag vorgesehenes nachvertragliches Wettbewerbsverbot noch den aktuellen Vorgaben der Rechtsprechung entspricht. Denn sollte dies nicht der Fall sein, sind solche Klauseln meistens nichtig, sodass sich ein ausscheidender Partner jederzeit in direkter Nachbarschaft zur bisherigen Praxis neu niederlassen kann.