Recht 01.11.2024

Vorsicht bei Sonderwünschen von Patienten!



Vorsicht bei Sonderwünschen von Patienten!

Foto: Dilok – stock.adobe.com

Im Nachhinein betrachtet ähneln sich Haftungsfälle sehr und sind Geschehensverläufe vergleichbar. Eine häufige Komponente in streitigen Auseinandersetzungen mit Patienten sind von Patienten während der Behandlung geäußerte Sonderwünsche, bei deren Erfüllung der Zahnarzt den Korridor einer gewissenhaften zahnärztlichen Behandlung verlässt oder zumindest zu verlassen droht. Zeigt sich der Patient dabei zudem stur an seinen Forderungen festhaltend und bleibt er beratungsresistent, kommt ein weiterer Warnhinweis hinzu.

Der später über zwei Instanzen klagende Patient war – bevor er die Praxis des verklagten Zahnarztes aufsuchte – bei mehreren Zahnärzten in Behandlung und jedes Mal unzufrieden. Auch diese Vorgeschichte findet sich bei Haftungsauseinandersetzungen häufig. Gleich zu Beginn der Behandlung erklärte der Patient, er leide an Allergien und es sei nur ein bestimmtes Material bei ihm verwendbar. Um dies zu untermauern, brachte er ein bis zwei Ordner starke Unterlagen mit in die Praxis. Da der Patient zunächst eine „Giftausleitung“ abwarten wollte, wurde eine Interimslösung mittels einer Metallkeramikbrücke besprochen. Eine herausnehmbare Versorgung lehnte der Patient ab. Das festsitzende Langzeitprovisorium wurde eingegliedert. Der Patient brachte seinen eigenen Zement mit. Dabei war die verwendete Legierung für die streitgegenständliche Brücke aufgrund des Umstandes, dass diese eine große Spannweite aufwies, nicht geeignet. Das war sowohl dem Zahnarzt als auch dem Patienten bewusst. Zwei Jahre nach dem Einsetzen brach die Brücke in der Front. Gleichwohl suchte der Patient die Praxis nicht mehr auf, die Brücke blieb im Mund des Klägers und dieser leitete bei Gericht ein selbstständiges Beweisverfahren ein. Das daraufhin verfasste Gutachten stellte die Lockerung mehrerer Zähne und die Gefahr von Spontanverlusten fest. Der Patient ließ sich in einer anderen Praxis behandeln und verklagte seinen ehemaligen Zahnarzt. In dem Verfahren behauptete der Kläger eine fehlerhafte Behandlung, er habe ferner niemals auf die Verwendung des ungeeigneten Materials bestanden, sondern vielmehr seine „Erfahrungen eingebracht“. Außerdem habe der Zahnarzt ihn nicht von einer Fehlplanung abgehalten, was aber seine Pflicht gewesen sei. Er sei auch nicht darüber informiert worden, dass das verwendete Material für ein Provisorium ungeeignet sei. Mit der Klage verfolgte der Patient Schadenersatz- und Schmerzensgeldforderungen. In erster Instanz wurde dem Patienten teilweise Recht gegeben. Sowohl der Patient als auch der Zahnarzt sind gegen diese Entscheidung in Berufung gegangen. Mit Urteil vom 16.05.2002 (Az. 1 U 5906/01) verneinte das OLG München die Haftung des Zahnarztes und stellte fest, dass der Patient keine Ansprüche gegen den Zahnarzt habe. Es lägen keine dem Zahnarzt anzulastenden Behandlungs- oder Aufklärungsfehler vor, selbst wenn die zahnärztliche Versorgung nicht ganz fehlerfrei gewesen wäre. „Zwar mögen objektiv betrachtet und vom konkreten Behandlungsauftrag losgelöste Mängel in der zahnärztlichen Versorgung durch den Beklagten vorgelegen haben. Auf diese kann sich der Kläger jedoch nicht berufen, da er, in ausreichender Weise aufgeklärt, das Risiko eines Fehlschlages in zulässiger Weise auf sich genommen und den Beklagten insoweit von seiner möglichen Verantwortung freigestellt hat.“

Mit anderen Worten: Da der Patient darüber aufgeklärt war, worauf er sich einlässt, kann er hinterher dem Zahnarzt nicht das Scheitern der Versorgung vorwerfen und Ansprüche gegen diesen ableiten.

Geschuldet wird eine Behandlung lege artis

Zunächst stellt das OLG München in seinen Entscheidungsgründen klar: „Grundsätzlich darf ein Zahnarzt – ebensowenig wie ein sonstiger Arzt – einem Patienten, der mit der Vorstellung einer ganz bestimmten Versorgung – im Fall des Klägers derjenigen mit einer Metallkeramikbrücke – zu ihm kommt, nicht ohne weitere eigene sachkundige Prüfung diese Versorgung angedeihen lassen, will er nicht gegebenenfalls in die Haftung geraten. Der Arzt bzw. Zahnarzt schuldet dem Patienten eine Behandlung lege artis. Das rechtliche Maß dessen, was in der ärztlichen/zahnärztlichen Behandlung an Erwägungen und Maßstäben vom Arzt konkret zu erwarten ist, wird durch den Sorgfaltsmaßstab des Arzthaftungsrechts bestimmt, der sich an der Aufgabe orientiert, Qualitätsmängel gegenüber dem anerkannten und gesicherten Stand der ärztlichen Wissenschaft im Zeitpunkt der Behandlung haftungsrechtlich zu sanktionieren … In diesem Sinn war der Beklagte grundsätzlich verpflichtet, aus seiner fachlichen Sicht die Vorstellung des Klägers daraufhin zu überprüfen, ob die gewünschte Behandlung auch sachgerecht ist, verneinendenfalls darauf hinzuweisen, gegebenenfalls Alternativen zu eröffnen und unter Umständen von einer vom Patienten gleichwohl gewünschten Behandlung auch ganz abzusehen.“

Der Sonderwunsch des Patienten stand einer beanstandungsfreien Behandlung entgegen

„Der Beklagte hatte hier nicht die Freiheit, gegebenenfalls nach Rücksprache mit seinem Labor das unter rein zahnmedizinischen und zahntechnischen Grundsätzen objektiv geeignete Legierungsmaterial auszuwählen. Als weitere Besonderheit stand die Allergie des Klägers inmitten. Diese zeichnete sich zudem dadurch aus, dass sie nicht auf ein bestimmtes oder einige bestimmte Metalle beschränkt war, die gegebenenfalls bei der Behandlung ausscheiden mussten.“

Der ausgeprägte Sonderwunsch fiel auch dem Gericht auf: „Dieses nachgewiesene Insistieren des Klägers auf dem Material … steht auch im Einklang mit dem gesamten sonstigen Verhalten des Klägers, das sich durch eine vom Kläger in mündlicher Verhandlung vor dem Senat offenbarte extreme und völlig im Vordergrund stehende Furcht auszeichnet, mit einem aufgrund seiner allergischen Veranlagung und bestehender Vergiftung bzw. Verseuchung ungeeigneten Material in Kontakt zu kommen. Ausprägung der gesteigerten Furcht des Klägers war auch, dass er dem Beklagten nicht nur die zu verwendende Legierung, sondern auch die aufzubrennende Keramik wie auch den für seine Bedürfnisse erforderlichen Zement aufschrieb und diesen Zement sogar in die Praxis des Beklagten mitbrachte.“

Dem Zahnarzt ist kein Fehlverhalten anzulasten, da er intensiv aufgeklärt hat

„Die sich danach stellende Frage, ob der Beklagte die fragliche, ungeeignete Legierung verwenden durfte, ohne sich dem Vorwurf fehlerhaften Verhaltens auszusetzen, ist zu bejahen. Die Vorstellung des Klägers von der Art der zu verwendenden Legierung entband den Beklagten jedoch nicht von der gegebenenfalls im Zusammenwirken mit seinem Labor durchzuführenden eigenverantwortlichen Prüfung, ob das Material auch objektiv unter zahnmedizinisch/zahntechnischen Gesichtspunkten für die konkrete Brückenversorgung geeignet war, wovon der Kläger offenbar aufgrund einer Materialbeschreibung, in der der Legierung eine hohe Festigkeit bescheinigt wurde, ausging, und den Kläger hierüber aufzuklären. Diese tatsächlich auch vorgenommene Prüfung führte zu dem Ergebnis, dass das Material für eine weitspannige Brückenversorgung wie im Fall des Klägers ungeeignet war. Hierauf war der Kläger auch mit Nachdruck hingewiesen worden.“ Eine Haftung hätte eintreten können, wenn die Einwilligung des Patienten nicht wirksam gewesen wäre. „In dem Bewusstsein, damit Risiken hinsichtlich der Haltbarkeit der Brücke einzugehen, entschied sich der Kläger gleichwohl für deren Fertigung aus dem Material … Indem der Beklagte diesem Wunsch entsprach und die Brücke im Zusammenwirken mit dem Labor fertigte und eingliederte, mochte er zwar objektiv gegen zahnärztliche Behandlungsregeln verstoßen haben, dies jedoch nicht in einer eine Haftung auslösenden Weise. Eine ärztliche oder zahnärztliche Heilbehandlung, die erkanntermaßen nicht den anerkannten Regeln des Fachs entspricht, kann zwar trotz einer mit diesem Wissen erteilten Einwilligung des Patienten haftungsbegründend sein. Dies jedoch nur dann, wenn die Einwilligung unwirksam ist. Als theoretisch einzig verbleibender denkbarer Grund für eine mögliche Unwirksamkeit der Einwilligung im Fall des Klägers wäre allenfalls ein Verstoß gegen die guten Sitten zu erwägen, jedoch zugleich auszuschließen.“

Fazit

Wie ist mit beratungsresistenten Patienten und ihren Sonderwünschen umzugehen? In jedem Fall ist eine besonders ausführliche Aufklärung durchzuführen. Diese muss vollständig dokumentiert sein und idealerweise unter Zeugen erfolgen. Alternativ kann die wie gewünschte Behandlung schlicht verweigert werden. Ein Behandlungszwang abseits von Schmerz- und Notfallbehandlung besteht nicht.

Dieser Artikel ist im OJ Oralchirurgie Journal erschienen.

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