Statements 21.02.2011
Sektorenübergreifender Datenüberfluss
Statement von Michael Schwarz, Präsident der Bayerischen Landeszahnärztekammer
Von der zahnärztlichen Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkt hat der Gemeinsame Bundesausschuss am 19. April dieses Jahres eine Richtlinie zur sektorenübergreifenden Qualitätssicherung beschlossen. Der Beschluss erfolgte einstimmig. Das verwundert, führt man sich die weitreichenden Auswirkungen für die Heilberufe vor Augen. Auch aus Sicht der Patienten – egal ob kollektiv, selektiv oder privat versichert – dürften die Konsequenzen unabsehbar sein, greift doch der Sozialversicherungsstaat mit diesem Projekt tief in das Arztgeheimnis ein. Nicht von ungefähr hatten die Datenschützer Alarm geschlagen, als die Regelungen zur sektorenübergreifenden Qualitätssicherung seinerzeit ins Sozialgesetzbuch aufgenommen wurden. Insbesondere die fehlende Rechtsgrundlage für die umfassende Datenerhebung und Auswertung stieß auf massive Kritik. Dem wurde – noch unter Ulla Schmidt – durch Aufnahme eines neuen Paragrafen (§ 299 SGB V) im Rahmen des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes abgeholfen. Damit scheint zumindest für die meisten Datenschutzbeauftragten der Fall erledigt.
Und für die Ärzte? In den Körperschaften scheint der neue Anlauf zur sektorenübergreifenden Qualitätssicherung positiv aufgenommen zu werden. Lenkungsausschüsse tagen, Themen werden spezifiziert, Landesarbeitsgemeinschaften gegründet: business as usual.
Sind Zahnärzte also wieder einmal die Störenfriede?
Weit gefehlt. Für die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung stand die Zustimmung zur Richtlinie – so scheint es dem Außenstehenden – nicht infrage. Die Bundeszahnärztekammer – um ihre Stellungnahme gebeten – enthielt sich einer Bewertung. Es tut mir leid, ich mag mich nicht damit abfinden, dass unsere Vorbehalte gegen das Thema Qualitätssicherung in der Medizin auf diese Weise kassiert werden. Dass wir uns nach heftiger Kritik an der Speicherung von Gesundheitsdaten in Zusammenhang mit der elektronischen Gesundheitskarte nun über den Begriff „Qualitätssicherung“ (Wer kann da schon dagegen sein?) auf eine noch umfassendere Datensammlung einlassen (müssen?). Fragen Sie einmal Ihren Rechtsanwalt, Ihren Steuerberater, ob er bereit wäre, seine Dienstleistungen solchen Längsschnittbetrachtungen Dritter zu unterwerfen.
In mir sträubt sich alles dagegen, dass irgendwelche Institute – mag ihre Reputation auch hoch sein – Einblick in meine Behandlungen nehmen. Als Zahnarzt, der vor einigen Jahren seine Kassenzulassung zurückgegeben hat, weil er Patienten nicht unter der Maßgabe einer von der Politik für „ausreichend“ erklärten Versorgung behandeln will, wehre ich mich, auf diese Weise wieder in das GKV-System einbezogen zu werden. Wo ist dafür die Rechtsgrundlage? Wer fragt meine privat versicherten Patienten nach ihrem Einverständnis? Ich wehre mich dagegen, dass mit diesen Reglementierungen weitere Kosten für das Gesundheitswesen entstehen. Machen wir uns nichts vor: Auch diese Kosten müssen am Ende zulasten unserer Honorare finanziert werden. Gewinnen wird alleine die E-Health-Branche, ohnehin einer der großen Profiteure auf dem Gesundheitsmarkt.
Mich überzeugt auch der Hinweis nicht, dass die Daten ja pseudonymisiert werden und dass die Krankenkassen darauf keinen Zugriff haben. Mich beruhigt nicht, dass die Richtlinie einen „qualitätsfördernden und unterstützenden Ansatz“ verfolgt. Wenn – wie der Gemeinsame Bundesausschuss richtig feststellt – die Qualität der Leistungserbringung in Deutschland anerkanntermaßen hoch ist, stellt sich doch die Frage, ob wir eine solch ausufernde Datenbürokratie, wie sie jetzt auf den Weg gebracht wird, überhaupt brauchen. Haben wir Zahnärzte nicht gerade erst den Nachweis erbracht, dass wir in unseren Praxen – unterstützt von der Selbstverwaltung – ein effizientes Qualitätsmanagement einführen konnten? Auch ohne validierbare Datenpools?
Wir sollten als – noch – Freie Berufe das Thema Deregulierung nicht nur im Mund führen, wenn wir uns mit Politik und Ämtern auseinandersetzen. Wir müssen auch in der Selbstverwaltung damit ernst machen. Der Gemeinsame Bundesausschuss firmiert als Einrichtung der Selbstverwaltung. Auch wenn er sich mit der Richtlinie noch mehr in Richtung einer Kontrollbehörde entwickelt. Vielleicht weil dort die „Fehler-Kultur“ noch unterentwickelt ist?