Branchenmeldungen 16.06.2025
Endo-Frühling und AfA-Tagung am Bodensee
Der Freitagvormittag startete mit der Begrüßung durch Prof. Dr. Edgar Schäfer, Präsident der DGET. Der Organisator und Leiter der AfA-Tagung, Herr Dr. Christian Diegritz, erläuterte den überwiegend aus der Hochschulschaft Anwesenden das Konzept des Arbeitstreffens. Das erste Mal auf einer AfA-Tagung ging es nicht ausschließlich um die Vorstellung von Lernprojekten – denn diese sollten auch im Rahmen von Arbeitsgruppen im Anschluss an die Präsentation von den Teilnehmenden weiterentwickelt werden.
Das erste Lernprojekt beschäftigte sich mit einem KI-gestützten E-Learning-Tool zur Verbesserung der endodontischen Diagnostikfähigkeit und wurde von Marian Prinz (Universitätsklinikum Münster) anhand eines Videobeispiels vorgestellt. Gerade bei Studierenden gibt es eine große Unsicherheit bei der zahnärztlichen Schmerzdiagnostik. Durch die Anwendung des KI-Modells fühlen sich Studierende sicherer im Umgang mit Schmerzpatienten als ohne ein KI-gestütztes E-Learning Tool.
Im zweiten Lernprojekt von Priv.-Doz. Dr. Marcel Reymus und Dr. Christian Diegritz (Ludwig- Maximilians-Universität München) ging es um die Vorstellung des Tooth Anatomy Inspectors (TAI), einer Augmented Reality- sowie Virtual Realitiy-Applikation für die endodontische Lehre. Diese ermöglicht mittels einer VR-Brille oder dem eigenen Smartphone eine genauere räumliche Darstellung der Wurzelkanalanatomie als im konventionellen Röntgenbild oder in der digitalen Volumentomografie (DVT). Studierende haben somit die Möglichkeit über die App „Tooth Canal Inspector“ die Anatomie des Endodonts leichter zu erlernen.
Im Anschluss an die Vorstellung beider Lehrprojekte wurde in Arbeitsgruppen intensiv über das Potenzial und die Möglichkeiten diskutiert, beide Projekte auf weitere Standorte zu übertragen. Nach der Präsentation der erarbeiteten Ergebnisse endete die AfA-Tagung am Freitagmittag.
Der Nachmittag begann mit der Verleihung des Preises für die beste internationale Publikation einer deutschsprachigen Universität. Prof. Dr. Michael Hülsmann überreichte die Auszeichnung an Dr. Christian Diegritz, Dr. Christina Fotiadou, Dr. Dr. Felix Fleischer und Priv.-Doz. Dr. Marcel Reymus für ihre Publikation: „Tooth Anatomy Inspector: A Comprehensive Assessment of an Extended Reality (XR) Application Designed for Teaching and Learning Root Canal Anatomy by Students.“
Der Endo-Frühling am Nachmittag versprach ein wissenschaftliches Programm das noch stärker als bei den Jahrestagungen auf die tägliche endodontische Praxis ausgerichtet war. Prof. Dr. Michael Hülsmann (Universität Zürich /CH) zeigte in seinem Vortrag „Gute Endo in der täglichen Praxis – Was ist essentiell, was ist Schnickschnack?“, was sich über die letzten 25 Jahre an Neuerungen in der Endodontie für die tägliche Praxis bewährt hat. Zu nennen wären die Agitation und Aktivierung der Spülflüssigkeiten, die Endometrie, moderne Nickel-Titan-Instrumente zur Wurzelkanalaufbereitung, biokompatible Füllmaterialien, wie z. B. Mineral-Trioxid-Aggregat (MTA) oder Biodentine sowie das Operationsmikroskop. Entscheidender für eine hohe Erfolgsquote ist jedoch weniger der positive Einfluss technischer Hilfsmittel als ein geschlossenes, konsistentes und antimikrobiell ausgerichtetes Gesamtkonzept. Zu den größten Fortschritten in der Endodontie sind neben allen technischen Neuerungen, die Möglichkeiten der Vitalerhaltung der Pulpa anzusehen.
„Ist die selektive Revision eine Option für die Praxis?“ Dieser Fragestellung ging Dr. Martin Brüsehaber (Hamburg) in seinem Vortrag nach, indem er anhand zahlreicher eigener Fallbeispiele eigene endodontische Misserfolge bewertete. Er betonte die Bedeutung der Dokumentation prognostisch wichtiger Faktoren im Therapieverlauf, von der vollständigen chemomechanischen Wurzelkanalaufbereitung, der Erlangung von Patency, der vollständigen Obturation des Kanalsystems, der Vermeidung einer Überextension der Wurzelfüllung bis hin zum adhäsiven Verschluss der Zugangskavität bis zur Höhe des Limbus alveolaris und zur suffizienten koronalen Restauration. Ist eine plausible Ursache für eine persistierende oder erneute apikale Entzündungsreaktion ersichtlich, stünden unterschiedliche Therapieoptionen, wie die Selektive Revision eines Kanals, die erneute Präparation eines Isthmus oder die Langzeitmedikation mit Kalziumhydroxid zur Auswahl. Er betonte dabei die besondere Problematik, die von Wurzeln mit mehreren Kanälen und Isthmusstrukturen ausgehe.
In Zeiten des Fachkräftemangels scheint das Behandeln ohne Assistenz eine immer wichtigere Fähigkeit unseres Berufsstandes zu werden. Dr. Helmut Walsch (München) zeigte anhand beispielhafter Videosequenzen aus der eigenen Praxis Wege auf, wie dies für das endodontische Setup, die Gestaltung der Zugangskavität und die Wurzelkanalaufbereitung gelingen kann. Wichtig sei die gute Vorbereitung und Organisation sowie der einfache Zugriff auf diverse Absaugvorrichtungen die zusammen mit dem Spiegel in einer Hand gehalten werden.
Dr. Sascha Herbst (Ludwig-Maximilians-Universität München) präsentierte den aktuellen Stand der Anwendung künstlicher Intelligenz (KI) in der endodontischen Diagnostik und Therapieplanung. Dabei zeigte er auf, dass periapikale Läsionen auf Röntgenaufnahmen bereits heute mit hoher Zuverlässigkeit durch KI-Systeme erkannt werden können. In anderen Bereichen, wie etwa der Einschätzung der Komplexität endodontischer Behandlungen, befindet sich die Technologie hingegen noch in einem frühen Entwicklungsstadium und erfordert weiterführende Forschung. Zudem betonte Herr Herbst die Notwendigkeit, bereits publizierte Ergebnisse kritisch hinsichtlich ihrer Plausibilität und praktischen Relevanz zu prüfen.
Bei einem gemeinsamen Abendessen im Cantinetta al Lago am Ufer des Bodensees konnten die Kolleginnen und Kollegen bei schönstem Wetter den Abend ausklingen lassen.
Der Samstagvormittag begann mit einem Vortrag von Prof. Dr. Till Dammaschke (Universitätsklinikum Münster) über die Zuverlässigkeit der Pulpitisdiagnostik. Prof. Dammaschke betonte, dass für die Behandlung der vitalen Pulpa, die Diagnose des Zustands der entzündeten Pulpa und damit die Unterteilung in reversible und irreversible Pulpitis wichtig ist. Die diagnostischen relativen Chancen den Zustand der Pulpa richtig zu ermitteln sind für den Kältetest tendenziell höher als für den Wärmetest oder elektrische Pulpatests. Das Auftreten von Schmerzen korreliert nicht mit dem Ausmaß der pulpalen Entzündung. Der vielversprechendste Indikator für eine irreversible Pulpitis scheint der spontane Schmerz zu sein. Die Genauigkeit und Reproduzierbarkeit diagnostischer Tests zur Beurteilung der Pulpavitalität ist nicht ausreichend und prognostische Indikatoren, die eine zuverlässige Abschätzung des Ergebnisses einer Behandlung der vitalen Pulpa ermöglichen, sind derzeit noch nicht verfügbar. Im Verlauf der Therapie können Pulpablutungen zuverlässig den Stand einer Entzündung und die Penetrationstiefe von Bakterien in die Pulpa widerspiegeln. Je nach Stärke und Dauer der Blutung kann damit das notwendige Ausmaß der Entfernung von Pulpagewebe (direkte Überkappung, partielle oder vollständige Pulpotomie) bestimmt werden.
Die Digitale Volumentomografie (DVT) hat in den letzten Jahren einen rasanten Aufschwung erfahren. Mit seinem Vortrag „Diagnostik und Therapieplanung mit der DVT“ erläuterte Dr. Jürgen Wollner (Nürnberg) zunächst die Indikationen für eine DVT in der Endodontie anhand der aktuellen S2k-Leitlinie von Dezember 2022. Es sollte vorab eine umfangreiche Basisdiagnostik durchgeführt und die Begrenzung des field of view (FOV) auf die fragliche Region sowie eine hohe nominelle Auflösung mit einer Voxelgröße von 120 μm oder weniger angestrebt werden. Studien haben gezeigt, dass die Größe einer apikalen Läsion im konventionellen Röntgenbild häufig unterschätzt wird oder auf den spongiösen Knochen begrenzte apikale Läsionen unentdeckt bleiben. Periapikale Knochendestruktionen können mit Hilfe der DVT diagnostiziert werden, noch bevor dies in der Zahnfilmaufnahme erkennbar ist. Auch bei der Planung der Therapie kann die DVT hilfreich sein und hat in über der Hälfte aller Fälle signifikante Auswirkungen auf die Therapieentscheidung. Die DVT hat somit ein hohes Einsatzpotential in der Endodontie und kann als vorteilhafte Ergänzung der zahnärztlichen Diagnostik angesehen werden, auch wenn das konventionelle Zahnfilmröntgen nach wie vor die Technik der Wahl ist.
Licht in den dunklen Materialdschungel der kalziumsilikat-basierten Sealer brachte Priv.-Doz. Dr. David Donnermeyer (Zahnmedizinische Kliniken der Universität Bern / CH) mit einem Update über diese Materialgruppe. Synthetische hydraulische kalziumsilikat-basierte Sealer werden im Labor hergestellt und enthalten in unterschiedlicher Zusammensetzung Zirkonoxid, Tri- und Dikalziumsilikat sowie Füllstoffe. Sie nehmen Wasser von außen auf und setzen beim Abbindeprozess u. a. Kalziumhydroxid frei, welches zum einen schwach antibakteriell wirkt und zum anderen zu biokompatiblem und bioaktivem Hydroxylapatit ausfällt. Ein weiterer Vorteil ist die Volumenstabilität dieser Materialgruppe, die somit in einer, gegenüber der warmen vertikalen Fülltechnik, einfacheren Einstifttechnik eingesetzt werden kann. Eigene Studien haben ergeben, dass eine Erhitzung kalziumsilikat-basierter Sealer keine Veränderung der physikalischen Eigenschaften bewirkt. Zudem bestehen keine Unterschiede zwischen Epoxidharzsealern und kalziumsilikat-basierten Sealern hinsichtlich postoperativer Schmerzen nach Wurzelkanalbehandlung von Zähnen mit akuter apikaler Parodontitis. Gleichermaßen haben beide Sealergruppen bei Überpressung keinen Einfluss auf die periapikale Heilung.
Rechtanwältin Dr. Susanna Zentai (Köln) ist mit ihrem Wissen über zahnärztliche Abrechnung bereits eine feste Größe bei unseren Tagungen und hat auch diesmal die Teilnehmenden wieder auf den neuesten Stand der Abrechnung von Analogpositionen in der Endodontie gebracht. Sie bezog sich dabei auf die Liste der Bundeszahnärztekammer, in der sämtliche Leistungen aufgezählt werden, die als Analogposition abrechenbar sind. Von entscheidender Bedeutung ist die Selbstständigkeit der abgerechneten Leistungen, die in der Gebührenordnung für Zahnärzte nicht vorkommen dürfen.
„Kortikoide in der Endodontie – lokal und systemisch“ lautete der Titel des Vortrags von Prof. Dr. David Sonntag (Düsseldorf) und seinem Sohn und Dermatologen Dr. Moritz Ronicke (Universität Erlangen). Kortikosteroide bewirken durch eine Hemmung der Zyklooxigenase 2 eine Hemmung der Prostaglandinbildung und somit eine Hemmung der Entzündung. Studien haben ergeben, dass die systemische, kurzzeitige Anwendung von Kortikoiden in Zusammenhang mit einer geplanten Wurzelkanalbehandlung bei symptomatischer irreversibler Pulpitis zu besserer Anästhesietiefe und signifikanter Reduktion postoperativer Beschwerden führt. Die DGET empfiehlt in einer wissenschaftlichen Mitteilung zur endodontischen Schmerzbehandlung die lokale Applikation eines Kortikoid-Antibiotikum-Präparates oder eines reinen Kortikoids, sollte die Vitalerhaltung der Pulpa nicht mehr möglich sein. Auch bei symptomatischer apikaler Parodontitis ist durch die Gabe von Kortikosteroiden eine signifikante Schmerzreduktion bis 24 Stunden nach der Behandlung zu erwarten. In Anwesenheit einer infizierten Pulpa führen Kortikosteroide jedoch zu einer Exazerbation der Entzündung, weshalb die für die Entzündung verantwortliche Infektion gleichzeitig eliminiert werden muss. Vorsicht ist geboten bei älteren, komorbiden Patienten und bei der Kombination von nichtsteroidalen Antiphlogistika und Kortikosteroiden aufgrund möglicher gastrointestinaler Blutungen. Als Fazit für die Praxis lässt sich festhalten, dass durch die Gabe von Kortikoiden eine signifikante Reduktion von prä-, intra- und postoperativen Schmerzen möglich ist. Zu beachten ist die Risikobewertung des einzelnen Patienten für mögliche Nebenwirkungen. Bei chronischer apikaler Parodontitis ist vor dem Einsatz von Kortikoiden die Keimfreiheit des Kanalsystems sicherzustellen.
Bekannt durch seine beeindruckenden Darstellungen der Wurzelkanalanatomie anhand von Mikro-CTs gestaltete Dr. Frank Paqué (Zürich / CH) den Abschluss der Tagung mit seinem Vortrag über die Anatomie des Endodonts. Misserfolge bei Wurzelkanalbehandlungen sind u. a. durch die Komplexität der Wurzelkanäle und der damit verbundenen Persistenz des Biofilms im Kanalsystem verbunden. Bereits 1917 beschäftigte sich Walter Hess in seiner bekannten Habilitationsschrift mit der „Anatomie der Wurzelkanäle des menschlichen Gebisses“. Dr. Paqué zeigte anhand von Mikro-CTs extrahierter Zähne, systematisch die Anatomie und anatomische Besonderheiten des Wurzelkanalsystems für die einzelnen Zahngruppen auf und vermittelte der Zuhörerschaft auf eindrucksvolle visuelle Weise, welche Fehler bei der Wurzelkanalpräparation durch gute Kenntnis der Anatomie vermieden werden können. Mit diesem Vortrag und den Schlussworten von Prof. Dr. Schäfer endete die Tagung, die aufgrund der praxisbezogenen Vorträge und der familiären Atmosphäre ganz bestimmt als sehr gelungen bezeichnet werden konnte.