Branchenmeldungen 19.03.2025
MVZ ohne (zahn-)ärztliche Leitung verliert Honoraranspruch
Der Fall
In dem konkreten Fall wurde der zahnärztlichen Leiterin eines zugelassenen zahnmedizinischen MVZ – wegen Schwangerschaft – ein vollständiges Beschäftigungsverbot mit Wirkung zum 29.07.2021 ausgesprochen. Mit einem Formblatt „Abmeldung“ teilte das MVZ dem zuständigen Zulassungsausschuss sodann am 25.10.2021 mit, dass die zahnärztliche Leiterin ihre zahnärztliche Tätigkeit sowie die zahnärztliche Leitung zum 29.07.2021 beendet habe. Es wurde außerdem ein Antrag auf Änderung der zahnärztlichen Leitung gestellt. Ab dem 25.11.2021 sollte die zahnärztliche Leitung von einer angestellten Zahnärztin übernommen werden.
Die Klägerin, ein Krankenkassenverband, beantragte daraufhin gegenüber der zuständigen Kassenzahnärztlichen Vereinigung eine sachlich-rechnerische Berichtigung aller vom MVZ im Zeitraum vom 29.07.2021 bis 25.11.2021 erbrachten zahnärztlichen Leistungen. Zur Begründung wurde darauf hingewiesen, dass das MVZ im fraglichen Zeitraum keine zahnärztliche Leitung gehabt habe. Die Kassenzahnärztliche Vereinigung lehnte dies ab, da das MVZ in diesem Zeitraum über eine bestandskräftige Zulassung verfügt habe. Hiergegen legte der Krankenkassenverband Klage ein.
Die Entscheidung
Das Sozialgericht München führte in seiner Entscheidung aus, dass die im Zeitraum vom 29.07.2021 bis 25.11.2021 erbrachten zahnärztlichen Leistungen unter Verstoß gegen § 95 Abs. 1 S. 2 und S. 3 SGB V erbracht wurden. Nach dieser gesetzlichen Vorschrift sind MVZ (zahn-)ärztlich geleitete Einrichtungen in denen der (zahn-)ärztliche Leiter selbst als angestellter Zahnarzt oder Vertrags(zahn-)arzt tätig sein muss. Der (zahn-)ärztliche Leiter ist in medizinischen Fragen weisungsfrei. Nach dem Gesetzeswortlaut muss daher ein MVZ über eine (zahn-)ärztliche Leitung verfügen.
Das MVZ führte hierzu zwar aus, dass die vormalige zahnärztliche Leiterin zum 29.07.2021 nur ihre zahnärztliche Tätigkeit einstellte, aber weiterhin Ansprechpartnerin in Bezug auf organisatorische Fragestellungen geblieben ist, dies sei jedoch nach dem Sozialgericht München nicht ausreichend, um die vorgenannten gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen.
Nach der Gesetzesbegründung des § 95 Abs. 1 SGB V wird dem Vorhandensein einer (zahn-)ärztlichen Leitung eine hohe Bedeutung zugemessen. Nur ein ärztlicher Leiter, der in die Organisations- und Versorgungsstrukturen des MVZ eingebunden ist, hat tatsächlich Einwirkungsmöglichkeiten auf die dortigen Abläufe und kann sicherstellen, dass ärztliche Entscheidungen unabhängig von sachfremden Erwägungen getroffen werden. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hat ein (zahn-)ärztlicher Leiter die Verantwortung für die Steuerung der Betriebsabläufe sowie eine Gesamtverantwortung gegenüber der Kassen(zahn-)ärztlichen Vereinigung wahrzunehmen. Diese Wahrnehmung von Leistungsfunktionen und die dazu notwenige Einwirkungsmöglichkeiten erfordern zwangsläufig eine ärztliche Präsenz. Hinreichende Einwirkungsmöglichkeiten habe ein (Zahn-)Arzt nur dann, wenn er selbst in die Arbeitsabläufe eingebunden ist und aus eigener Anschauung das Verhalten der Mitarbeiter beurteilen kann.
Das nur zur Verfügung stehen für organisatorische Fragstellungen sei nicht ausreichend um die vorgenannte Verantwortung für die Steuerung von Betriebsabläufe sowie eine Gesamtverantwortung gegenüber der Kassenzahnärztlichen Vereinigung wahrzunehmen. Eine tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit könne hierdurch nicht sichergestellt werden. Es sei nicht erkennbar, wie hierdurch sichergestellt werden könne, dass ärztliche Entscheidungen unabhängig von sachfremden Erwägungen getroffen werden. Damit fehle es an einer zahnärztlichen Leitung, wie sie von § 95 Abs. 1 S. 2, S. 3 SGB V ausdrücklich gefordert wird.
Hieran ändere auch der Umstand nichts, dass das MVZ im fraglichen Zeitraum über eine vertragszahnärztliche Zulassung verfügte, da im Vertrags(zahn-)arztrecht immer zwischen Status- und Abrechnungsberechtigung zu unterscheiden ist. Allein der vertragszahnärztliche Status als zugelassenes MVZ berechtigt einen Leistungserbringer nicht automatisch zur kassenzahnärztlichen Tätigkeit. Hierfür seien immer weitere zusätzliche Erfordernisse oder Einschränkungen zu beachten.
Auswirkungen für die Praxis
Ein MVZ muss nach Auffassung des SG München zukünftig sicherstellen, dass es zu jedem Zeitpunkt einen möglichen Stellvertreter für die (zahn-)ärztliche Leitung bereithält, um auf einen Wegfall der Leitung zu reagieren, da sonst der vollständige Honorarverlust droht. Es ist unabdingbar, dass ein solcher Vertretungsantrag oder – bei längerer Abwesenheit – die Benennung eines neuen (zahn-)ärztlichen Leiters sofort erfolgt.
Die Praxis zeigt jedoch, dass es nicht so einfach ist einen Stellvertreter bzw. einen (zahn-)ärztlichen Leiter zu finden. Die Übernahme der Tätigkeit als (zahn-)ärztlicher Leiter ist für einen (Zahn-)arzt mit einem deutlichen Mehraufwand und einem nicht zu unterschätzenden persönlichen Haftungsrisiko verbunden.
In diesem Zusammenhang hatte z.B. auch das Sozialgericht München am 21.01.2021 (Az. S 38 KA 165/19) entschieden, dass der ärztliche Leiter eines MVZ auch persönlich, selbst wenn er die Pflichtverletzung nicht begangen hat, für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Abrechnung sämtlicher Leistungen verantwortlich sei und insoweit auch disziplinarisch für die Pflicht zur „peinlich genauen Abrechnung“ gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung einzustehen hätte, dies ergebe sich insoweit aus der Gesamtverantwortung.
Aufgrund der Größe und Struktur vieler MVZ ist es dem (zahn-)ärztlichen Leiter aber gar nicht möglich und zumutbar, die vollständige Einhaltung aller Abrechnungsvoraussetzungen zu überprüfen.
Nach dem das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 13.12.2023 (Az. B 6 KA 15/22 R) nun bestätigte, dass eine Kassen(zahn)ärztliche Vereinigung in ihrem Honorarverteilungsmaßstab auch regeln darf, dass bei einem MVZ der (zahn-)ärztliche Leiter die Abrechnungs-Sammelerklärung zu unterzeichnen hat, ergeben sich aus der Tätigkeit als (zahn-)ärztlicher Leiter zudem auch unmittelbar persönliche strafrechtliche Risiken. Bereits die Unterzeichnung der Abrechnungssammelerklärung stellt die tatbestandsmäßige Handlung (Täuschung) im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB (Abrechnungsbetrug) dar (vgl. Landgericht München, Urteil vom 19.04.2018, Az. 15 Ns 566 Js 109123/13).
Autor: RA Philipp Ungeheuer, LL.M. Medizinrecht
Quelle: lennmed Newsletter Ausgabe 121/2025