Patienten 20.04.2018

Milchzahnfüllungen – Welche Prioritäten setzen wir?



Milchzahnfüllungen – Welche Prioritäten setzen wir?

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Was ist notwendig, was sinnvoll und welche Maßnahmen sind überambitioniert bzw. nicht kindgerecht? Ein Resümee aus zehn Jahren Kinderzahnheilkunde und Vorstellung unterschiedlicher Lehrmeinungen, Erfahrungswerten und Gewichtungen.

Wichtig ist dabei, nie außer Acht zu lassen: Es gibt kein falsch oder richtig, nur ein anders! Wer heilt, hat Recht!

Was ist die grundsätzliche Absicht von „Kinderzahnärzten“? (Anmerkung der Autorin: Bei der Bezeichnung „Kinderzahnarzt“ handelt es sich nicht um eine Facharztausbildung, lediglich um einen Tätigkeitsschwerpunkt. Der Einfachheit halber wird der Begriff im Text fortan weiter verwendet.)

Kinderzahnärzte wollen Kindern von Beginn an einen nicht traumatisierenden, unbeschwerten Einstieg in die Zahnbehandlungen ermöglichen. Kinder sollen beim Zahnarzt möglichst nur positive Erfahrungen machen: Angsteinflößende Schlüsselworte wie Spritze werden durch kindgerechte Begriffe wie Zauberstab ersetzt, die Praxisräume sind kindgerecht gestaltet und das Praxispersonal gibt sich in der Regel Mühe mit der sogenannten Verhaltensführung. Darunter versteht man im Allgemeinen die Ablenkung des Kindes während der Behandlung. Das sollte allerdings über den obligatorischen Deckenbildschirm und der Vorführung von Kinderfilmen hinausgehen, z. B. kann das Kind während einer Extraktion abwechselnd die Beine anheben oder es wird zum Kopfrechnen animiert etc.

Bei der Füllungstherapie gibt es unterschiedliche Lehrmeinungen und Umsetzungen in den Praxen. Es gibt die Lehrmeinung, dass das Belassen von tiefer Karies in Ordnung ist, sogar eine Vitalamputation vermieden werden kann, wenn das Füllungsmaterial die Kavität randdicht verschließt. Durch die Sauerstoffinhibition sollen die Bakterien absterben und die Karies nicht voranschreiten.

Wenn nicht tief gebohrt wird oder rein manuell mit dem Löffelexkavator gearbeitet wird, da Karies belassen wird, wird auch auf eine örtliche Betäubung verzichtet. Ohne Betäubung wird auch selten eine Matrize mit Keilchen gesetzt, somit ist der Approximalraum für die Reinigung mit Zahnseide nicht durchgängig.

Jeder Parodontologe schreit nun empört auf. Die Idee, die dahintersteckt, ist die, dass das Kind für eine Milchzahnfüllung nicht traumatisiert werden muss. Soll heißen, eine örtliche Betäubung könnte beim Kind zu Stress führen, evtl. toleriert es den Einstich nicht oder das anschließende taube Gefühl und steigt vielleicht aus der Behandlung aus. Ein zweiter Versuch wird in der Regel schwierig bei einem Kind, welches schon mal die Behandlung abgebrochen hat. Man verzichtet auf potenzielle Stressfaktoren für das Kind und arbeitet intensiv mit Ablenkung, Hypnose, Tell– Show– Do.

Diese Gedankengänge hat jeder Kinderzahnarzt, wenn er einschätzen und planen soll, ob und wie ein Kind behandelt werden könnte. Die Kinderzahnärzte, die ambitioniert sind, dem Kind eine möglichst stressfreie und positive Erfahrung zu bescheren, werden diesen Weg wählen.

Das Hauptziel ist hier der Übungseffekt. Das Kind lernt, wie es ist, eine Zahnbehandlung zu bekommen, die Eltern sind beruhigt, dass der Zahn wenigstens schon anbehandelt wurde ( wichtig ist die ehrliche Aufklärung der Eltern) und zu einem späteren Zeitpunkt und Reifepunkt des Kindes wird der Zahn ggf. weiterbehandelt („fraktioniertes Exkavieren“). Aber will man als Patient noch eine Restkaries im Zahn wissen? Können Eltern so eine Behandlungsmethode nachvollziehen? Wahrscheinlich nur, wenn auch sie den Eindruck hatten, dass die Behandlungssitzung schwierig oder das Kind unruhig war.

Eine andere Herangehensweise ist, dass die Milchzähne mit gleicher Gewichtung behandelt werden, wie die bleibenden Zähne, d. h. Spritze (klassisch Karpulenspritze oder intraligamentär z. B. Citoject), absolute Trockenlegung (Kofferdam), Matrize, Keilchen, Lupenbrille).

Selbstverständlich ist so eine Behandlung lege artis, stellt Sorgfalt und Genauigkeit dar und durch die absolute Trockenlegung erhöht sich die Wahrscheinlichkeit längerer Haltbarkeit bzw. Haftung der Füllung. Und unabstreitbar ist das Spanngummi der beste und im Streitfall juristisch eingeforderte Schutz vor Aspiration oder Verschlucken von zahnärztlichen Materialien wie Keilchen, Feilen oder Tupfern. Allerdings kann die Kofferdamklammer auch das zarte Periodont der Kinderzähne schädigen. Die klassischen Spritzen sehen bedrohlich aus und lassen sich auch kaum in der Hand des Behandlers verstecken.

Und die Lupenbrille für eine Kinderfüllung? Subjektiv beurteilt erscheint sie überambitioniert und fehl am Platz – ohne den Anwendern zu nahe treten zu wollen. Bei Milchzähnen gibt es nur die Wahl zwischen Füllung bis zum Bereich der Caries media oder die Vitalamputation. Eine Caries profunda-Behandlung ist bei Milchzähnen in der Regel nicht erfolgreich durchführbar. Für diese Unterscheidung benötigt man keine Lupe.

Bei bleibenden Zähnen dient der Caries Detector sehr effektiv der Diagnostik. Wenn überhaupt ist die Benutzung der Lupenbrille bei bleibenden Zähnen zu rechtfertigen.

Doch Kleinkinder, die bekanntermaßen von Gesichtern Emotionen ablesen und diese non- verbale Kommunikation auch ständig brauchen, um sich sicher und gut zu fühlen, werden durch eine Lupenbrille abgeschreckt. Durch die Lupenbrille und den Mundschutz ist die Mimik des Zahnarztes vollständig verdeckt – das kann ein Kind verunsichern, auch wenn man das obligatorische Loben, wie „das machst du super“ abspult.

Sicher beeindrucken derlei technische Hilfsmittel die bei der Behandlung anwesenden Eltern, aber dem Kind nützen sie gar nichts. Und wenn der Zahnarzt darauf besteht und das Kind zurechtweist, wenn es vor diesen fremden Utensilien Angst hat, dann ist das Ziel, eine wenig traumatisierende Behandlung bei einem Kind durchzuführen, verfehlt. In der Kinderzahnheilkunde steht die technische Ausführung eher hinter der Psychologie. Natürlich ist ein Zahnarzt kein Psychologe, aber er muss sich, um Kinder erfolgreich und kindgerecht behandeln zu können, auf das Zwischenmenschliche intensiv einlassen. Nicht umsonst ist das Angebot für Kommunikationstrainings mit Kindern und Jugendlichen oder für Hypnoseschulungen groß. Ein Kind ist ähnlich zu behandeln wie ein Angstpatient.

Die berufliche Erfahrung zeigt: Der Mittelweg ist die beste Option. Weder ein pedantisches Durchsetzen von Kofferdam und Lupenbrille noch ein unvollständiges Exkavieren und Überkonturieren der Füllungen in die Approximalräume durch Verzicht auf örtliche Betäubung sind zielführend.

Jedes Kind ist anders und hat eine andere Toleranzschwelle. Fängt ein Kind beim Kofferdam an zu weinen, dann füllen Sie halt mit relativer Trockenlegung. Schafft ein Kind die Füllung mithilfe von Parotispflaster/-rolle und Watterollen, liegt es an uns und der Absaugtechnik der Stuhlassistenz, die Füllung trocken in die Kavität einzubringen.

Sie halten nichts davon, Kinder zur Behandlung zu zwingen oder sie festzuhalten? Dann zwingen Sie doch auch bitte kein weinendes Kind zum Kofferdam. Einem erwachsenen Patienten wird doch auch seine Entscheidungsfreiheit zugestanden. Ein Kind wird direkt als unkooperativ abgestempelt, obwohl es ansonsten sehr gut mitarbeitet.

Toleriert ein Kind den Kofferdam – prima! Dann erleichtert er uns das Arbeiten. Genauso sollte man es mit der örtlichen Betäubung halten. Wenn man schon absehen kann, dass der kleine Patient aus der Behandlung aussteigt nach der Spritze, dann lieber gar nicht erst unnötig probieren. Hier reicht das schrittweise Antasten, wie weit das Kind schon mitmacht. Eventuell lässt es auch erstmal nur den Rosenbohrer zu, viele Kinder reagieren negativ auf den Sauger und das viele Wasser im Mund beim Bohren. Dann ist es ratsam, sich für das fraktionierte Exkavieren zu entscheiden, eine Zementfüllung zu legen, die auch unter Speichel aushärtet (z.B. Fuji Triage), die Eltern/Erziehungsberechtigten aufzuklären und es für den ersten Termin erstmal dabei zu belassen.

Empathie ist das Schlüsselwort und das Kind als Patienten ernstnehmen. Nonverbal zeigen uns die Kinder ganz genau und vor allem direkt, ob eine Behandlung zu lange dauert (wackeln mit den Füßen/ Beinen, Stopphand zeigt in immer kürzeren Abständen hoch), schmerzhaft ist (Stirnrunzeln, Tränen bis hin zum starken Weinen) oder ganz in Ordnung ist (geduldiges Übersichergehenlassen durch gute Ablenkung, z.B. Schauen eines Filmchens).

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