Praxismanagement 16.04.2024
Fünf zentrale Orientierungssätze für Praxisleitende
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Die größere Zahnarztpraxis ist aufgrund ihrer Komplexität für Praxisleitende ein bunter Strauß voller Herausforderungen. Nachfolgend stellen wir fünf Themenfelder dar, die für das erfolgreiche Agieren an der Spitze der Mehrbehandlerpraxis von zentraler Bedeutung sind.
Mehrbehandlerpraxis smart führen
1. Effizienz und Kultur sind die substanzielle Antwort auf Kostensteigerungen
- Praxen, die in größeren Strukturen mit primär angestellten Zahnärzten und Zahnärztinnen agieren, haben Fixkostenquoten von über 60, oft auch 70 Prozent (nur Fixkosten) und insofern nur eine vergleichsweise kleine betriebswirtschaftliche „Toleranzschicht“.
- Viele Kosten sind in den letzten zwei Jahren erheblich gestiegen (z. B. für Softwarewartung, Material, Räume und Energie, Personal, Zinsen etc.), gleichzeitig sind neue Kostenarten hinzugekommen (Datensicherheit, Digitalisierung, Recruitingdienstleister etc.).
- Bei den Personalkosten im nicht zahnärztlichen Bereich hat sich das Level aus verschiedenen Gründen erheblich nach oben entwickelt. Die substanziellen Gehaltssteigerungen im Team der bisherigen Geringverdiener ändern das Kostengefüge und bringen die Praxen zusätzlich unter Handlungsdruck.
- In Summe können diese Kosten steigerungseffekte nur zum Teil, erfahrungsgemäß aber nicht komplett über Preissteigerungen oder Veränderungen im Leistungsspektrum kompensiert werden.
- Um Renditen halten zu könnnen, braucht es deshalb den Blick auf Effizienzreserven in den Organisationsabläufen sowie ein handlungsorientiertes Bewusstsein für den erheblichen Werthebel des sozialen Feldes der Praxis (Betriebsklima, Teamkultur, Motivation freisetzende Führungsstandards etc.).
- Zahnarztpraxis ist ein People Business. Die beiden Bereiche Team und Organisationsentwicklung haben insofern in der Zahnarztpraxis intensive, hochkomplexe Wechselwirkungen.
2. Geld wird in der Routine verdient
- Nur wenn Routineprozesse wie ein Schweizer Uhrwerk laufen, werden verlässlich die höheren Stundensatzregionen erreicht (organisiert), aus denen die Praxisrendite in der Mehrbehandlerpraxis überproportional entsteht.
- Teamstabilität! Es empfiehlt sich bei allem, was Führungskräfte tun, auf dem Schirm zu haben, welche riesigen Negativeffekte (Renditekiller / Stimmungskiller / Produktivitätsverluste) aus erhöhter Fluktuation im Team entstehen.
- Überstunden sind der Vorläufer von steigenden Krankheitsquoten, diese wiederum sind der Vorläufer erhöhter Fluktuation.
- Das gesamte Praxisteam braucht Bewusstheit darüber, wie wichtig ein „zackiges” Terminmanagement ist und was Patientenausfälle tatsächlich kosten. Die Lösungen für diese Achillesverse des Gesamtbetriebes werden idealerweise gemeinsam gefunden und auch gemeinsam verankert, sodass sich alle damit identifizieren.
- In den allermeisten großen Praxen sind nicht die Personalkosten das Problem (im Gegenteil sind z. B. top ausgebildete und entsprechend gut bezahlte Behandlungsassistenzen krasse Performance Booster), sondern die Opportunitätskosten durch nicht realisierte Leistungs und Einnahmenpotenziale. Also die Leistungen und Einnahmen, die möglich wären, aber der Praxis „aus Gründen” entgehen.
- Zeit und Ressourcen sind das wertvollste Gut der Praxis. Insofern „müssen” die eingerichteten Behandlungsstunden („Vollbetrieb steht bereit”) mit entsprechenden Honorargrößen belegt sein, damit angemessene Renditen entstehen können.
- Honorarstundensätze und die Anzahl der Behandlungsstunden (individuell für jeden einzelnen Platz) sind dementsprechend die allerwichtigsten Kennzahlen in der Steuerung der Mehrbehandlerpraxis.
- Dort, wo technische Innovation und Digitalisierung wirklich Sinn machen, also keine Spielerei sind, sondern nachhaltigen Mehrwert bringen, sollten sie auch konsequent eingesetzt werden.
- Geld wird in der Routine verdient bzw. dort auch verloren: Der Organisationsgrad des Gesamtbetriebes erzeugt die Weichenstellung.
3. Nicht Kapital, sondern Menschen, Prozesse und Strukturen entscheiden über den Erfolg einer Zahnarztpraxis
- Jedes Depot freut sich über die Bestellung der neuen Einheiten, des DVTs, des Lasers – damit ist allerdings noch kein Euro verdient. Der Kauf von Sachen ist das mit Abstand einfachste Doing am gesamten unternehmerischen Wirken.
- Ein erfolgreiches Geschäftsmodell wird die Zahnarztpraxis nur, wenn es gelingt, das „Hingestellte“ auch mit Leben und tragfähigem Konzept zu füllen.
- Genau diese Konzepte (wer macht was wann und wie, Teamführung, organisatorisches Zusammenspiel, zukunftsfähige Therapie, Wohlfühlfaktoren, die Mitarbeiter/innen ebenso wie Patient/innen anziehen und nachhaltig zufrieden machen und vieles mehr) können nicht „schrankfertig” gekauft werden.
- Investitionen in Führungskonzept, Kultur und Organisationsausbau (genau in dieser Reihenfolge) entscheiden über die Zukunftsfähigkeit und den Grad des möglichen Gesamterfolgs der Mehrbehandlerpraxis.
- Zahnmedizin ist kein industrieller Vorgang. Hier arbeiten Menschen für Menschen.
- Menschen entscheiden, wo sie sich wohlfühlen, wo sie gesehen werden, wo sie Selbstwirksamkeit erleben. Dort halten sie sich auf. Arbeitgeberattraktivität zeigt sich genau an dieser Stelle.
4. Herausforderungen an Leitungspositionen realistisch-systematisch handhaben
- Ausbildungslevel und Arbeitsergebnisse stehen immer in einem engen Zusammenhang.
- Von einem Grundschüler würde man nicht das erfolgreiche Ablegen der Abiturprüfung verlangen. Von der Assistenzzahnärztin nicht den perfekten Sinuslift. Genau das pas siert allerdings in den allermeisten Mehrbehandlerpraxen bezüglich Praxisleitung, Praxismanagement und Teamleitung.
- Die schicke Position im Organigramm bedeutet nicht, dass notwendige Fähigkeiten vorhanden sind. Neue Führungskraft benennen und dann konzeptfrei losschicken nach dem Motto „Du machst das schon“, erzeugt nach wenigen Monaten bei allen Beteiligten Gefühle von Frust, Enttäuschung, Demotivation und Niederlage.
- Es ist sehr von Vorteil, wenn Führungskräfte sowohl ihre konkreten Aufgaben und Verantwortlichkeiten kennen als auch treffsichere Bewusstheit darüber haben, wie sie als Menschen auf andere wirken. Wenn sie wissen, wo sie ihre blinden Flecken haben und realistisch einschätzen können, in welchen Bereichen sie noch größere Lernschritte machen dürfen, um ihre Position gut auszufüllen.
- Eine gute Fachkraft verfügt nicht automatisch über ausreichendes Potenzial für die Führungsposition.
- Kurzum: Der Karriereschritt aus der Abrechnungsexpertise hin ins leitende Praxismanagement braucht ebenso wie der aus der Zahnmedizin hin in die zahnärztliche Leitung oder der von der Assistenz in die Teamleitung begleitende Qualifizierungsprogramme. Damit auch das dabei herauskommen kann, was sich alle Beteiligten wünschen und vorstellen.
5. Führung ist eine dienende Aufgabe
- „Liebe Führungskraft, bitte erkenne meine Potenziale und hilf mir, sie zu entwickeln“ – das ist der unausgesprochene Satz fast jedes Teammitglieds.
- Gleichzeitig lauert die Egofalle für die Führungskraft überall. Zentrale Schlüssel für die Wirksamkeit von Führungskräften in Zahnarztpraxen auf persönlicher Ebene sind entwickelte Selbstreflexion, bewusste Annahme der Vorbildfunktion, großes Interesse an Menschen, eine Portion Demut und die Bereitschaft zum stetigen Lernen.
- Das eigene Ego im Zaum halten bedeutet beispielsweise auch (der Klassiker), Bewusstheit für das eigene Textvolumen zu haben und dieses klein zu halten. Hinhören, anstatt die Menschen vollzureden. Managementguru Stephen Covey hat elegant formuliert: erst verstehen, dann verstanden werden.
- Weiteres Beispiel ist der Verzicht auf die schnelle, unreflektierte Parteinahme, wenn Mitarbeiter/ innen Verstärkung für die eigene Sichtweise oder den „kurzen Draht zur Chefin“ nutzen wollen. Balance halten und allen Mitarbeiter/ innen die Sicherheit geben „auch du wirst gehört“ – das ist ein Beitrag zu positiver Kultur.
- Auch bei Themen, die richtig triggern und auf die man leidenschaftlich gerne einsteigen würde: Problembeschreibungen kurz und sachlich halten. Fokus immer auf die Lösungsebene richten und Mitarbeiter/ innen ebenfalls für dieses Kommunikationsprinzip begeistern und trainieren: „Jetzt haben wir das Thema gut eingekreist, lasst uns jetzt auf die Lösungsebene wechseln und schauen, was wir gemeinsam tun können, um die Sache in den Griff zu bekommen“.
- Die Problemtexter kosten das Team viel Energie. Deshalb: eigene Vorbildfunktion wirklich ernst nehmen, Dauernörglern systematisch den Boden entziehen, hartnäckig konstruktiv bleiben. Die Kraft der Positivität ist riesig und durch zahlreiche Studien unterlegt.
- Wer sich nicht gerne zurücknimmt oder richtig viel Energie mobilisieren muss, um Menschen zuzuhören, Potenzialen auf die Spur zu kommen und Mitarbeiter/ innen hell erstrahlen zu lassen, wird es in der Führungsrolle schwer haben. Sehr schwer. Aber kein Drama. Wer als Praxisinhaber/ in einfach lieber selbst die Tore schießt, gleichzeitig bereit ist, sich in Organisationsstrukturen zu integrieren, kann über ein Konzept mit angestellten Führungskräften die nachhaltig erfolgreiche Mehrbehandlerpraxis realisieren.
Fazit
Faszinierend an großen Zahnarztpraxen ist, dass sie alles bieten können, was Arbeitnehmer/-innen sich erklärtermaßen wünschen: sinnstiftende Aufgaben, persönliche Weiterentwicklung, Teamerleben, faires Gehalt, Mitsprache, Digitalisierung und vieles mehr. Praxisleitende sind die Schlüsselkräfte. An ihrem Wirken und ihrem Qualifikationslevel entscheidet sich, ob eine Mehrbehandlerpraxis ihre Schätze heben kann.
Dieser Beitrag ist in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis erschienen.