Kinderzahnheilkunde 25.06.2025
Stahlkronen vs. Füllungen: Neue Erkenntnisse zur Langzeitversorgung von Milchmolaren
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Die Studie unter dem Titel „Performance of restorations in primary molars over a seven-year period“ entstand im Rahmen meiner Dissertation und basierte auf der Beobachtung, dass bislang keine Publikation existierte, die Reinterventionsraten von Füllungen und konfektionierten Stahlkronen anhand eines so umfangreichen Datensatzes – über 360.000 Milchmolaren – und über einen derart langen Beobachtungszeitraum von sieben Jahren systematisch analysiert hat. Zudem wird der Wissenschaft häufig vorgeworfen, dass viele Studien unter klinisch idealisierten Bedingungen durchgeführt werden – häufig an Universitätskliniken und durch spezialisierte Behandler – und somit nur begrenzt auf die Realität in der niedergelassenen Praxis übertragbar sind. Genau hier wollten wir ansetzen: Unsere Datengrundlage stammt aus einem repräsentativen Datensatz deutscher Kassenzahnärzte und spiegelt somit die tatsächliche Versorgungssituation im Praxisalltag niedergelassener Kolleginnen und Kollegen in Deutschland wider.

Das bewährte restaurative Konzept aus der Erwachsenenzahnheilkunde lässt sich nicht eins zu eins auf die Milchzahnbehandlung übertragen.
Füllungen vs. konfektionierte Stahlkronen: Langfristige Erfolgsraten im Vergleich
Unsere Analyse umfasste 367.139 Milchmolaren, die bei Kindern im Alter zwischen null und sieben Jahren entweder mit Füllungen oder konfektionierten Stahlkronen behandelt wurden. Dabei fiel auf, dass nur 1,54 Prozent der Zähne mit einer Stahlkrone versorgt wurden – ein auffallend geringer Anteil, der dem tatsächlichen Potenzial dieser Versorgungsform nicht gerecht wird. Im Gegenteil: Unsere Ergebnisse zeigen sehr deutlich, dass bei über der Hälfte der mit Füllungen behandelten Zähne innerhalb von sieben Jahren mindestens eine Reintervention erforderlich war – sei es in Form einer erneuten Füllung, einer endodontischen Maßnahme oder einer Extraktion. Die Erfolgsrate lag dabei – je nach Größe der Füllung – lediglich zwischen 46,2 und 52,6 Prozent. Die konfektionierten Stahlkronen erzielten hingegen eine signifikant höhere Erfolgsrate von 80,6 Prozent. Diese Zahlen unterstreichen die Überlegenheit der Stahlkrone hinsichtlich der Haltbarkeit, da Füllungen an Milchmolaren eine circa mehr als doppelt so hohe Versagensrate haben.
Geringere Reinterventionsrate bei konfektionierten Stahlkronen
Die konfektionierten Stahlkronen umschließen den Zahn vollständig und bieten damit einen umfassenden Schutz vor weiteren kariösen Läsionen und Frakturen. Ein weiterer entscheidender Aspekt der für den Einsatz von Stahlkronen spricht ist die begrenzte Kooperation vieler junger Patienten. Diese erschwert eine kontaminationsfreie Applikation von adhäsiven Restaurationsmaterialien erheblich – Speichelkontamination, mangelnde Trockenlegung und unzureichende Adhäsivtechnik führen in der Praxis häufig zu Randundichtigkeiten, postoperativer Sensibilität oder Frakturen der Restauration. Diese Faktoren entfallen weitgehend beim Einsatz von Stahlkronen, was deren geringere Reinterventionsrate zusätzlich erklärt.
Trugschluss
Scheinbar gehen viele Behandler davon aus, dass sich die bewährten restaurativen Konzepte aus der Erwachsenenzahnheilkunde eins zu eins auf die Milchzahnbehandlung übertragen lassen. Das ist jedoch ein Trugschluss – schon allein aufgrund der unterschiedlichen Zahnanatomie und der besonderen Anforderungen im Umgang mit pädiatrischen Patienten. Hinzu kommt, dass konfektionierte Stahlkronen fälschlicherweise als kosmetisch unattraktiv und zu zeitaufwändig wahrgenommen werden.2 Dabei zeigen Studien, dass sowohl Kinder als auch Eltern die Ästhetik der Kronen meist neutral oder sogar positiv bewerten.3 Ein zentrales Problem liegt meines Erachtens auch in der unzureichenden universitären Ausbildung im Bereich der Kinderzahnheilkunde. Aktuell verfügen lediglich drei deutsche Universitäten über eine eigenständige Abteilung für Kinderzahnheilkunde, und auch die praktische Erfahrung am pädiatrischen Patienten kommt im Studium häufig zu kurz. Hier besteht ein erheblicher struktureller Nachholbedarf – sowohl in der universitären Lehre als auch in der postgradualen Weiterbildung.
Fazit und Konsequenz für zahnärztliche Praxis
Unsere Ergebnisse zeigen klar: Unabhängig von der Größe der Füllung ist die Reinterventionsrate bei konfektionierten Stahlkronen signifikant niedriger. In der Praxis bedeutet das, dass eine einmalige Versorgung mit einer Stahlkrone in der Regel bis zur natürlichen Exfoliation des Milchzahns ausreicht – ohne dass ein weiterer Eingriff notwendig wird. Das erspart dem jungen Patienten oft viel Leid, unter anderem durch Vermeidung von Schmerzen, Angst oder einer eventuell nötigen Intubationsnarkose und den damit verbundenen Morbiditäts- und Mortalitätsrisiken. Zusätzlich ist es auch im Sinne einer effizienten und nachhaltigen Gesundheitsversorgung, dass möglicherweise unnötige Reinterventionen vermieden werden. Das soll keinesfalls bedeuten, dass Füllungen in der Kinderzahnheilkunde grundsätzlich obsolet sind. Es spricht aber vieles dafür, die Indikation für Füllungstherapie auf einflächige Läsionen zu beschränken und ab der zweiten kariösen Fläche bevorzugt zur Stahlkrone zu greifen. Diese Strategie könnte die Rate an Reinterventionen erheblich reduzieren und die Behandlungsqualität in der Kinderzahnheilkunde nachhaltig verbessern.

Nachträgliche Erkenntnisse zum Studiengegenstand
In einer weiterführenden Analyse desselben Datensatzes konnten wir zeigen, dass der Unterschied in der Reinterventionsrate zwischen Füllungen und Stahlkronen umso deutlicher ausfällt, je jünger die behandelten Patienten sind.4 Das bedeutet konkret: Gerade bei sehr jungen Kindern und unter Narkose ist die Wahl einer besonders langlebigen Versorgung von noch größerer Bedeutung. Der Einsatz von Stahlkronen kann in dieser Altersgruppe dazu beitragen, unnötige Wiederholungsbehandlungen, zusätzliche Narkosen und damit verbundene Risiken weitestgehend zu vermeiden. – Linus Pötter
Dieser Beitrag ist in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis erschienen.