Praxismanagement 27.11.2017
Digitalisierung jetzt: E-Health-Gesetz und Telematikinfrastruktur
Neues Quartal, neues Update für die Praxissoftware, Gerätevalidierungen, neue Vorschriften und bürokratische Anforderungen: Das ist Alltag in deutschen Zahnarztpraxen. Kein Wunder, dass viele Zahnärzte und ihre Mitarbeiter das Gefühl beschleicht, die wachsende Zahl an Regeln, technischen Geräten und Hilfsmitteln würde die Kernprozesse der Praxis eher überschatten als diese zu unterstützen. Hinzu kommt nun noch der erzwungene Anschluss der Praxen an die Telematikinfrastruktur im Zuge des E-Health-Gesetzes. Rechtfertigt der Nutzen diesen gewaltigen Aufwand? Christian Capelle, Leiter der IT-Abteilung bei der Health AG, geht genau dieser Frage im folgenden Beitrag nach.
Die Informationstechnologie (IT) soll dazu dienen, Zahnärzte in ihrer täglichen Arbeit zu unterstützen. Sie kommt nicht nur bei der Verwaltung, Dokumentation und Abrechnung zum Einsatz. Gleichermaßen unterstützt sie Verwaltungs- und Hygieneprozesse oder gar die Aufklärung der Patienten. Intelligente Digitalisierung kann dem Anwender durch gezielte Hinweise helfen, etwa bei der Abrechnung, auch komplexesten Regelwerken Genüge zu tun. So groß der Nutzen auch ist, so stellt die IT die Zahnarztpraxen gleichermaßen vor viele Herausforderungen.
IT leistet viel und verlangt einiges
Daten in digitaler Form sind schnell kopiert oder verschickt und bei unsachgemäßer Handhabung auch ebenso schnell für immer verloren. Der Umgang erfordert viel Gespür für Datenschutzthemen und eine hohe Disziplin bei der Umsetzung regelmäßiger Sicherungs- und Wartungsprozesse. Aufgrund der mangelnden Vernetzung der für die Praxissteuerung eingesetzten Systeme sind viele Zahnärzte, beispielsweise beim Versand von Röntgenbildern, auf sehr unsichere Wege wie E-Mail angewiesen. Die vielfältigen Möglichkeiten der Automatisierung, in anderen Branchen bereits selbstverständliche Realität, haben die Zahnarztpraxis oft noch nicht erreicht.
Fluch und Segen der Digitalisierung
Das Verhältnis vieler Zahnärzte zur Digitalisierung ist noch immer gespalten. Einerseits überzeugt der offenkundige Nutzen, schnell auf Daten zugreifen zu können, jeden Anwender. Wer einmal ein elektronisches Terminbuch im Einsatz hatte, wird nie mehr zur Papiervariante zurückkehren wollen. Auch vermisst niemand die Zeiten vor der elektronischen Abrechnung, an denen die Praxen viermal pro Jahr für mehrere Tage schließen mussten, um das Quartal zu beenden.
Andererseits beklagen viele Zahnärzte die mit der Digitalisierung einhergehende steigende Transparenz. So ist es heute in Echtzeit möglich, das Abrechnungsverhalten aller Vertragszahnärzte zu analysieren, zu vergleichen und, im schlimmsten Falle, auf Basis dieser Daten den einzelnen Zahnarzt zu sanktionieren.
Im Falle des E-Health-Gesetzes scheint der Widerstand der Zahnärzte besonders groß. So interveniert z.B. die Kassenzahnärztliche Vereinigung Niedersachsen (KZVN) seit 2006 fortwährend gegen die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK). Zuletzt im November 2014 hat sie die Bundesregierung unverblümt aufgefordert, die weitere Entwicklung sofort zu stoppen. Dass die Regierung für die nun angeordnete Einführung des Versicherten-Stammdaten-Managements (VSDM) direkt mit Ausgabenkürzungen droht, sollten zum 1. August 2018 nicht alle Zahnarztpraxen an das Netz der Telematikinfrastruktur angeschlossen sein, trägt nicht unbedingt zur Entspannung bei. Auch wenn sich bereits die nächste Fristverlängerung bis Ende 2018 ankündigt.
Berechtigte Kritik
Zahnärzte haben durchaus Anlass zur Kritik. Der Hauptnutzen des VSDM, nämlich den Missbrauch von Gesundheitskarten einzudämmen, findet durchaus Unterstützung. Dass die dafür umzusetzenden Maßnahmen wie der zwingende Anschluss der Praxis an das Internet, die Anschaffung und Installation neuer Geräte und die operative Umsetzung im Praxisalltag allein den Zahnärzten aufgebürdet werden, stößt hingegen vielfach auf Unverständnis.
Es ist die Rede von unsachgemäßer Aufgabendelegation an die Zahnärzte. Und tatsächlich ist der technische Aufwand in der Praxis enorm. Neben neuen Kartenlesegeräten ist gegebenenfalls das Computernetzwerk anzupassen. Besonders ungern gesehen ist der zwingend notwendige Konnektor. Die Kosten werden zwar zumindest teilweise übernommen. Es gibt aber derzeit nur ein einziges (nur für den Testbetrieb) zugelassenes Modell, welches bislang sorgsam unter Verschluss gehalten wird. So werden zum Beispiel Softwarehersteller, die nicht an den Tests der vergangenen Monate teilgenommen haben, bei der rechtzeitigen Entwicklung der geforderten Anpassungen behindert. Es wird sich zeigen, inwieweit die Zahnärzte die Konsequenzen dieses auch aus anderen Bereichen bekannten Protektionismus zu tragen haben werden.
Chancen des E-Health-Gesetzes
Fest steht: Die Digitalisierung lässt sich weder umkehren noch aufhalten. Die ersten Schritte der Umsetzung des E-Health-Gesetzes scheinen zwar zunächst weder Zahnärzten noch Patienten einen konkreten Nutzen zu bringen. Die in der Folge geplanten Funktionen der Telematikinfrastruktur haben aber durchaus das Potenzial, die Arbeit von Ärzten und die Versorgung von Patienten wesentlich und nachhaltig zu verbessern.
Die Speicherung von Medikationsplänen und Notfalldaten macht beispielsweise kritische Informationen schneller und besser verfügbar. Die Qualifizierte elektronische Signatur (QeS) und das gesicherte Kommunikationsnetzwerk zwischen den Leistungserbringern (KOM-LE) ermöglichen den Austausch patientenbezogener Dokumente ohne Grauzonen. Eine zentrale und sichere elektronische Patientenakte ist lange überfällig. Es wird sich zeigen, ob Lösungen privater Anbieter innerhalb des komplexen rechtlichen Rahmens genug Reichweite erzeugen können, um eine Alternative darzustellen.
In diesem Sinne ist es gut, dass diese Schritte mit dem E-Health-Gesetz konsequent vorangetrieben werden. Die Digitalisierung sollte als Chance begriffen werden, Praxisabläufe zu automatisieren und so mehr Freiräume zu schaffen. Zum Nutzen der Patienten und der Ärzte.
Autor: Christian Capelle
Dieser Beitrag ist in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis 9/2017 erschienen.