Branchenmeldungen 13.04.2022

Dentalwelt: Digital und nachhaltig in Richtung Zukunft



Dentalwelt: Digital und nachhaltig in Richtung Zukunft

Foto: Kulzer

Die Dentalbranche unterliegt einem permanenten Wandel. Wer die Gesetzmäßigkeiten kennt und für sich umzusetzen vermag, kann allen aktuellen und zukünftigen Herausforderungen gelassen entgegensehen. Im Interview spricht Jörg Scheffler, Country Manager DACH bei Kulzer, über die Digitalisierung als Gemeinschaftsaufgabe, die neue Rollenverteilung zwischen Online- und Fachhandel sowie die Ausschöpfung der ökologischen Potenziale in Praxis und Labor. 

Herr Scheffler, mit Ihrer knapp 30-jährigen Dentalbranchen- und Managementerfahrung: Vor welchen Herausforderungen steht die Dentalwelt aktuell?

Jörg Scheffler: Es gibt derzeit drei große Themen: Die größte Herausforderung sehe ich in der umfassenden Digitalisierung der Zahnarztpraxen. Da viele Dentallabore bereits stark digitalisiert sind, könnten Praxen meiner Ansicht nach von deren Erfahrungskurve profitieren. Zur Digitalisierung in puncto Technik und Workflow gesellt sich aber gleichermaßen auch noch die Digitalisierung im Bereich Kommunikation: Hier sollten Stichworte wie Social Media, Webinare und Video-Kommunikation mit dem Kunden keine Fremdworte mehr sein.

Damit schlage ich direkt den Bogen zu Herausforderung Nummer zwei – dem „aufgeklärten Patienten“. Während seitens der Politik ausdrücklich die Informiertheit des Patienten forciert wird und Zahnarztpraxen ihre Fähigkeiten werblich sowie kommunikativ in der Außendarstellung pflegen, nimmt auf dem Behandlungsstuhl nicht selten auch Halbwissen aus dem Internet mit Platz. Der Dentalbranche muss es hier gelingen, wieder die Meinungshoheit zu gewinnen – schließlich haben wir alle höhere Erwartungshaltungen an die Bereiche Beratung und Kommunikation.

Die letzte Herausforderung ist und bleibt der Fachkräftemangel. Jede Praxis, jedes Labor, die Industrie, der Handel, aber auch unsere Fachgesellschaften, die Verbände und nicht zuletzt die Standesorganisationen sind aufgefordert, die Attraktivität der einzelnen Berufsbilder in der Öffentlichkeit darzustellen und somit den Nachwuchs zu sichern. Um die Weichen auf der finanziellen Ebene der Ausbildung zu stellen, braucht es zudem die politische Unterstützung.

Losgelöst von Ihrer Funktion als Country Manager DACH bei Kulzer: Wie sehen Sie die Zusammenarbeit zwischen Zahnarzt und Zahntechniker – etwa am Beispiel von Intraoralscannern und der digitalen Datenübermittlung? Welche zukünftigen Herausforderungen sehen Sie außerdem bei diesen Berufsgruppen?

Jörg Scheffler: Wie eben schon gesagt, empfinde ich es als Chance, dass die Digitalisierung das Zusammenspiel zwischen Zahnarzt und Zahntechniker stärken kann. Für beide Berufsgruppen sind die Aussichten meiner Meinung nach durchaus positiv – insbesondere dann, wenn die Zukunft gemeinsam angegangen wird. Damit positioniere ich mich entschieden gegen jene Skeptiker, die negative Zukunftsprognosen für das Zahntechniker-Handwerk erstellen.

Das Berufsbild in der Zahntechnik wird sich massiver ändern als das beim Zahnarzt der Fall ist. Der Zahntechniker wird im Bereich Prothetik vom reinen Hersteller noch stärker zum Berater und Dienstleister für den Behandler avancieren, zum Beispiel in puncto CAD/CAM oder in der Patientenkommunikation. Auf die Prothetik-Expertise des Zahntechnikers kann der Zahnarzt nicht verzichten, zumal in dessen Zahnmedizinstudium nur Grundlagen vermittelt werden. Der Behandler selbst wird sich zudem noch stärker mit den individuellen Bedürfnissen des aufgeklärten Patienten auseinandersetzen müssen. Die aktuell zu beobachtende Konzentration von Zahnarztketten wird wahrscheinlich dazu führen, dass auch die Zahntechnik mitabgedeckt wird bzw. dass man sich Laborpartner mit entsprechenden Größenmerkmalen und Spezialkenntnissen sucht.

Das von Ihnen genannte Beispiel Intraoralscanner passt da perfekt ins Bild, denn es waren schließlich die Zahntechniker, die dieser Technologie zu ihrem Boom verholfen haben. War diese Technologie bereits im Labor vorhanden, so kamen sämtliche Kunden (Praxen) in den Genuss, die Vorteile unmittelbar selbst erleben zu können. Nicht ohne Grund wurde und wird das Thema Intraoralscanner bei Veranstaltungen und im Rahmen von Fortbildungen auch häufig von Teams bestehend aus einem Zahnarzt und einem Zahntechniker präsentiert.

Welchen Einfluss hatte Corona auf die Digitalisierung des Marktes?

Jörg Scheffler: Corona hat – bei allem Leid, so mancher lähmenden Unsicherheit und wirtschaftlicher Herausforderung – dazu beigetragen, dass Onlinefort- und -Weiterbildungsformate plötzlich eine reelle Chance bekamen. Die Branche verschaffte sich einen Überblick, verglich die Angebote, trennte Spreu von Weizen und entdeckte zahlreiche reizvolle Formate. Damit verbunden, gab es weniger physische Fahrten zu Veranstaltungen, Ressourcen und Zeit wurden somit gespart. Es gibt aber noch einen weiteren spannenden Aspekt, der meiner Meinung nach viel zu wenig thematisiert wurde: Digitale Formate ermöglichen auch familiär eingebundenen Zahnärzt*innen, den Praxisteams und auch Wissenschaftler*innen, die Angebote zu nutzen. Ich sehe hier auch die Chance, dass es zukünftig mehr Referent*innen und Wissenschaftler*innen geben wird, die bei Veranstaltungen ihr Wissen teilen.

Mir liegt rund um das Thema Corona noch ein anderer Gedanke am Herzen, den unsere Branche viel zu wenig in die Öffentlichkeit getragen hat: Praxen und Labore waren in den vergangenen Jahren niemals ein Corona-Hotspot! Die Versorgung der Bevölkerung war zu jeder Zeit sichergestellt und sicher. Das zuvor bereits hohe Niveau der Hygienemaßnahmen zahlte sich in besonderer Weise aus. Dafür haben alle Praxen und Labore ein riesiges Lob verdient – aber es blieb bislang seitens der Politik leider aus …

Welche Rolle wird zukünftig der dentale Fachhandel und welche Rolle der Onlinehandel einnehmen?

Jörg Scheffler: Der Onlinehandel nimmt beispielsweise im Materialbereich bereits eine dominante Rolle ein. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen – auch in anderen Bereichen. Nun ist es kein Geheimnis, dass viele Fachhandelsgruppen parallel auch Onlineanbieter sind. Spätestens als minilu und van der Ven – Dental offensiv ein solches Geschäftsmodell kommunizierten, war dies auch jedem klar.

Wissend um diese Konstruktionen, könnte sich der klassische Fachhandel meiner Ansicht nach noch klarer zum „Fach“ positionieren. Das „20 Prozent auf alles – außer Tiernahrung“-Konzept ist kein Erfolgsmodell für Fachhändler. Wir spüren alle – in den Praxen und Laboren – eine Sehnsucht nach Nähe, persönlicher Betreuung und Dialog. Diese Differenzierung kann der klassische Fachhandel durch Service, Qualität, Consulting, Workflow-Beratung, Digitalisierung, Vermittlung von Fachpersonal, Praxisneugründungen, Praxisnachfolge etc. bieten. Unterm Strich muss aber auch klar sein, dass guter Service seinen Preis hat.

Das gleiche Potenzial sehe ich bei der Industrie: Wem es zukünftig gelingt, die Erfüllung des Wunsches nach individueller persönlicher Betreuung der Praxen nicht nur zu versprechen, sondern tatsächlich zu realisieren, der wird ein Gewinner. Das gilt insbesondere auch für Bereiche, in denen keine großen Technologiesprünge mehr zu erwarten sind. Die Kommunikation wird dabei sowohl online als auch offline stattfinden – „multi-channel“ über diverse Kanäle lautet hier meiner Meinung nach die Erfolgsformel. Die Mischung aus persönlich, telefonisch, Remote-Service, per Mail, Video, Webinar, Webshop, Social Media, WhatsApp & Co. bringt den entscheidenden Unterschied.

Nachhaltigkeit und ökologische Aspekte spielen eine immer größere Rolle. Ist die Branche Ihrer Meinung nach gut aufgestellt? Wo bestehen Potenziale, wo gibt es Grenzen?

Jörg Scheffler: Nachhaltigkeit ist das Thema der Stunde und für uns alle überlebenswichtig. Unsere Branche ist gut beraten, ganz vorne mit dabei zu sein, Ideen zu entwickeln und diese konsequent umzusetzen. Aktuell sehe ich eine hohe Bereitschaft in der Bevölkerung wie auch bei den Praxis- und Laborbetreibern, selbst aktiv mitzumachen.

Der Weltverband der Zahnärzte FDI hat im Jahr 2017 eine Stellungnahme zur Nachhaltigkeit abgegeben, der in 2015 verabschiedeten UN-Agenda „Nachhaltigkeit 2030“ folgend. Der zahnärztliche Berufsstand sollte die nachhaltigen Entwicklungsziele in die tägliche Praxis integrieren und einen Wandel zu einer grünen Wirtschaft im Bestreben nach einem gesunden Leben und Wohlbefinden für alle Menschen in allen Lebensabschnitten unterstützen.

Einige in der Stellungnahme genannte Beispiele lauten wie folgt:

  • Der Zahnarzt sollte sein Personal für eine Kultur der Nachhaltigkeit schulen.
  • Bei der zahnärztlichen Berufsausübung sollten wann immer möglich der Verbrauch von Strom, Wasser, Papier und jedem potenziell umweltschädlichen Material sowie die Emissionen in Luft und Wasser kontrolliert und reduziert werden.
  • Zahnärzte sollten bei der Wahl zwischen Einwegmaterial oder wiederverwendbaren Instrumenten an die Umwelt denken, ohne die Sicherheit und Behandlungsqualität für den Patienten zu beeinträchtigen.
  • Die Verwendung von stromsparenden und umweltfreundlichen Technologien ist zu fördern.

Nachhaltigkeit fängt im Kleinen an. Aus meiner Sicht hat zum Beispiel das Recycling von Zahngold aus entnommenen Kronen und Brücken eine Vorbildwirkung. Hier entstehen – im Vergleich zur Gewinnung von einem Kilogramm Gold aus Bergwerken und Mienen – nur 0,5 Promille CO2.

Sehr geehrter Herr Scheffler, herzlichen Dank für Ihre Zeit und Ihre Sicht der Dinge.

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